Sanftere Töne im Stahlstreit

EU und USA suchen Einigung zu Lasten der Entwicklungsländer

  • Victoria Walter, Brüssel
  • Lesedauer: ca. 3.0 Min.

Nach heftigen Verbalattacken haben die Chefunterhändler der EU und der USA im Konflikt um die europäischen Stahlexporte in die Vereinigten Staaten vorerst sanftere Töne angeschlagen.

Die von Washington angedrohten Mengenbeschränkungen und Strafzölle bis zu 40Prozent seien vorerst nur eine Expertenempfehlung, suchte der US-Handelsbeauftragte Robert Zoellick in Brüssel seinen Kontrahenten, EU-Handelskommissar Pascal Lamy, zu besänftigen. Entscheiden werde Präsident Bush erst Anfang nächsten Jahres. Lamy revanchierte sich mit der Offerte, die Europäer könnten ihre Stahlkapazitäten bis 2002 - im Vergleich im Zeitraum 1998 bis 2002 bei Rohstahl um 13Millionen und bei Fertigerzeugnissen um 16Millionen Tonnen verringern. Beide gaben sich vor der Presse auf fast peinliche Weise als alte Duzfreunde, als wollten sie gemeinsam in den amerikanischen Wahlkampf ziehen. Die gegenseitigen Liebenswürdigkeiten konnten allerdings nicht verdecken, dass die Fronten im Stahlkonflikt unverändert hart sind. Der umschmeichelte »Bob« legte keine vergleichbaren Vorschläge auf den Tisch, sondern suchte die geplante Marktabschottung zu rechtfertigen. Sie stehe im Einklang mit den Welthandelsregeln, die befristete nationale Schutzmaßnahmen zulassen. Die amerikanischen Stahlkonzerne, die auf heimischen Terrain erhebliche Marktanteile an die gesamte ausländische Konkurrenz verloren haben, bräuchten eine Atempause für die eigene Umstrukturierung. Zoellick versuchte die europäischen Vorwürfe zu entkräften, die US-Stahlkonzerne hätten in der jahrelangen Hochkonjunktur viel zu wenig investiert und die üppigen Gewinne stattdessen an die Aktionäre verteilt. Vielmehr gebe es auch in den USA »Bewegung«. In den 90er Jahren seien fast 70000 Stahlarbeiter ihren Job losgeworden und zahlreiche Werke Pleite gegangen. Faktisch schob er den »sozialistischen Regierungen« in Europa dafür die Schuld in die Schuhe, weil sie die eigene Stahlindustrie mit hohen Subventionen aufgepäppelt hätten. Diese Anwürfe konnte Lamy bei aller Kompromissbereitschaft nicht unwidersprochen stehen lassen. Er steht unter schwerem Druck der europäischen Stahl-Lobby, die nicht nur schwere Einbrüche im Amerika-Geschäft befürchtet. Die Chefs der Branche zittern vor allem bei dem Gedanken, dass die gleichfalls vom US-Markt verdrängte Billig-Konkurrenz aus Asien, Nahost oder der früheren Sowjetunion ihre überschüssigen Stahlmengen nach Europa umlenken könnte. Die derzeitige Krise in der EU-Stahlindustrie würde damit dramatisch verschärft, was die Preise vollends zum Einsturz brächte und die hiesigen Konzerne tief in die roten Zahlen drücken würde. Angesichts dieser dramatischen Lage warnte die EU-Kommission die USA, durch neue Handelshindernisse die Versäumnisse ihrer Stahlkonzerne »auf andere abzuwälzen«. Die geplanten Einfuhrbeschränkungen und Strafzölle, die Präsident Bush von der amerikanischen Handelskommission nahe gelegt wurden, wären ein schwerer Verstoß gegen das Welthandelsrecht. Schließlich seien nationale Schutzmaßnahmen nach dem WTO-Abkommen nur bei gravierenden Marktstörungen erlaubt. Diese Bedingung sieht die EU in den USA nicht erfüllt, weil die ausländischen Stahllieferungen auf den amerikanischen Markt in den ersten zehn Monaten 2001 um rund 25Prozent zurückgegangen sind. Den einzigen Ausweg sieht die EU in einem globalen Abbau unrentabler Stahlkapazitäten. Auch Washington kann sich damit anfreunden - sofern die eigenen Konzerne dabei geschont werden. Das europäische Angebot setzt nach den Worten des EU-Handelskommissars aber voraus, dass auch die USA am gleichen Strang ziehen und vor allem auf einseitige Handelsbeschränkungen verzichten. Um die weltweite Stilllegung veralteter Stahlwerke wird derzeit im Rahmen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in Paris zwischen allen Industriestaaten gepokert. Dort dürften in den kommenden Wochen vor allem zwischen der EU und den USA noch die Fetzen fliegen. Die gegenseitigen Streicheleinheiten zwischen »Bob und Pascal« in Brüssel könnten nach altbekanntem Globalisierungs-Rezept aber auch das Vorspiel zu einem Kuhhandel der beiden mächtigsten Wirtschaftsblöcke zu Lasten der stahlerzeugenden Entwicklungsländer und der Osteuropäer werden. Sollte Präsident Bush allerdings die Schotten auch für die europäischen Stahlkonzerne dicht machen, steht ein neuer transatlantischer Handelskrieg ins Haus. Die EU-Kommission will dann zunächst vor das Schiedsgericht der WTO ziehen, um die amerikanischen Handelsbeschränkungen für illegal erklären zu lassen. Damit würden europäische Gegenmassnahmen bei anderen amerikanischen Exportgütern legalisiert und die Widersprüche ung...

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