Koalitionsbruch: Brasiliens Präsidentin droht das Aus

Sieben PMDB-Minister müssen ihr Amt aufgeben / Drei Minister wollen bleiben / Rousseff-Herausforderer sieht Regierung »am Ende« / Präsidentin sagt USA-Reise ab

  • Lesedauer: 4 Min.
Brasiliens Regierung steckt seit langem in der Krise. Präsidentin Rousseff wird unter anderem Korruption zur Last gelegt. Der Bruch der Koalition könnte das Amtsenthebungsverfahren gegen sie beschleunigen.

Brasília. Brasiliens Staatspräsidentin Dilma Rousseff muss nach dem Verlust ihres wichtigsten Koalitionspartners das baldige Ende ihrer Präsidentschaft fürchten. Die Führung der Partei der demokratischen Bewegung (PMDB) hat den Abzug ihrer sieben Minister aus der Regierung beschlossen, Vizepräsident Michel Temer bleibt aber im Amt. Der Koalitionsbruch kann eine Amtsenthebung wahrscheinlicher machen. Bereits Anfang Mai könnte Rousseff für zunächst 180 Tage suspendiert werden, in der Zeit würde der Senat die Vorwürfe gegen sie prüfen. Temer (75) würde in dieser Zeit Interims-Präsident.

Allerdings wollen trotz der Entscheidung der Parteiführung nach Angaben des Portals »O Globo« drei Minister der PMDB im Amt bleiben: Marcelo Castro (Gesundheit), Kátia Abreu (Landwirtschaft) und Celso Pansera (Wissenschaft). Die Partei ist intern tief gespalten. Es wird erwartet, dass Rousseff in Kürze ihr Kabinett umbilden wird - unklar ist aber, was mit den im Amt verbleiben wollenden Ministern passiert.

Seit 2003 war die PMDB Partner der linken Arbeiterpartei. Parteichef Temer selbst nahm nicht an der Sitzung teil. Die Entscheidung fiel am Dienstagnachmittag (Ortszeit) per Akklamation nach wenigen Minuten Sitzungsdauer. Die Politiker riefen: »Weg mit der Arbeiterpartei«.

Temer ist seit 2011 Vizepräsident an der Seite Rousseffs. Für sie bedeutet dies nicht nur, dass sie politisch immer handlungsunfähiger wird - schon zuletzt gab es unter den 68 PMDB-Abgeordneten viele Abweichler, sie konnte kaum noch Reformen im Abgeordnetenhaus durchsetzen. Vor allem könnte dies die Amtsenthebung der bis Ende 2018 gewählten Rousseff vorantreiben. Begründet wird das Verfahren mit angeblichen Haushaltstricks und Ungereimtheiten bei der Wahlkampagne 2014. Wenn Abgeordnetenhaus und Senat zustimmen, wird sie zunächst für sechs Monate suspendiert. Im Oktober könnte der Senat mit Zweidrittel-Mehrheit eine endgültige Amtsenthebung beschließen.

Rousseff bestreitet alle Vorwürfe und warnt vor einem Putsch. Eine für Donnerstag geplante USA-Reise will sie nach Medienberichten absagen. Ein Auslöser der Krise ist ein Korruptionsskandal bei
Auftragsvergaben des halbstaatlichen Ölkonzerns Petrobras, dessen Aufsichtsratsvorsitzende Rousseff von 2003 bis 2010 war. Hinzu kommt eine schwere Rezession, die den Widerstand gegen Rousseff verstärkt hat. Die als Befreiungsschlag gedachte Nominierung von Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva als Kabinettschef verschärfte die Krise. Ein Bundesrichter untersagte, dass Lula Kabinettschef werden darf. Gegen ihn wird wegen Korruptionsvorwürfen ermittelt. Er wäre in dem Amt besser vor möglicher Untersuchungshaft geschützt, Rousseff bestreitet, dass die Berufung ihn vor Ermittlungen schützen soll.

Brasiliens Regierungskrise im Überblick

PETROBRAS-SKANDAL: Seit zwei Jahren läuft die Operation »Lava Jato« (Autowäsche), 21 Ermittler haben ein jahrelanges Korruptionsnetz aufgedeckt. Bei 89 Auftragsvergaben des staatlich kontrollierten Ölkonzerns Petrobras an Bauunternehmen, zum Beispiel zum Bau von Raffinerien, sollen Schmiergelder geflossen sein, gegen 57 Politiker wird parteiübergreifend ermittelt, auch aus Reihen der Opposition.

Nach Schätzungen kann sich der Schaden auf bis zu 6,1 Milliarden Reais (1,48 Mrd Euro) belaufen. Präsidentin Dilma Rousseff war von 2003 bis 2010 Aufsichtsratschefin von Petrobras, ihr Vorgänger Luiz Inácio Lula da Silva wehrt sich gegen Vorwürfe, ein Baukonzern habe ihn bei einem Apartment begünstigt. Die Arbeiterpartei ist durch den Skandal in ihrer Glaubwürdigkeit erschüttert, zudem wird Rousseff von einem Weggefährten vorgeworfen, die Ermittlungen zu behindern.

RICHTER GEGEN REGIERUNG: Der Richter Sérgio Moro ist für die Regierung zum Feindbild geworden, unerbittlich führt er die Ermittlungen der Operation »Lava Jato«, er müsste über Untersuchungshaft und einen möglichen Prozess gegen Lula entscheiden - mit der Berufung zum Kabinettschef würde Lula eine Teilimmunität genießen, nur der Oberste Gerichtshof wäre für die Ermittlungen zuständig und nicht mehr Moro.

Dieser veröffentlichte am Tag der Nominierung einen Telefonmitschnitt zwischen Lula und Rousseff, der sich so interpretieren lassen kann, dass sie ihn mit dem Ministeramt schützen will. Führende Juristen kritisieren Moro dafür scharf, da Rousseff als Präsidentin eigentlich besonderen Schutz genießt und gegen sie gar nicht ermittelt wird. Ein Bundesrichter lehnte Lulas Wechsel in die Regierung wegen der Ermittlungen vorerst ab, womöglich wird er nur Chefberater der Regierung - dann wäre wohl weiter Moro für seinen Fall zuständig.

ZERBRÖSELNDE KOALITION: Die Wirtschaft ist 2015 um 3,8 Prozent eingebrochen, die Arbeitslosenzahl auf über 9,1 Millionen Menschen gestiegen und die Inflation liegt bei über 10 Prozent. Doch die Regierung bekommt kaum noch Reformen durchgesetzt - weil die Mehr-Parteien-Koalition im Zuge der Krise zerfällt. Sportminister George Hilton verlor gerade, wenige Monate vor Olympia in Rio, sein Amt, weil auch die republikanische Partei Brasiliens (PRB) als kleiner Koalitionspartner mit der Regierung gebrochen hat.

Rousseff hatte als Sparmaßnahme 2015 acht Ministerposten gestrichen, jetzt sind es aber immer noch 31 Ministerien. Der größte Partner, die PMDB, die nun die Koalition aufgekündigt hat, bekam extra noch einen Ministerposten hinzu und stellte sieben Minister. Durch die vielen Abweichler wird es wahrscheinlicher, dass das bereits begonnene Amtsenthebungsverfahren gegen Rousseff erfolgreich sein könnte. Agenturen/nd

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