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Wir wollen Wortmusik machen

Das Chor-Theater-Projekt »Anderswo« begibt sich auf die Spuren von Mascha Kaléko

  • Katrin Schielke
  • Lesedauer: 4 Min.

»Über 80 Leute auf der Bühne - das muss man erst mal koordinieren«, sagt Stephan Weßeling. Gemeinsam mit seiner Kollegin, der Regisseurin Anne Zühlke vom Theater Daktylus, und der Leiterin des PUMP’n-Chors des Jugendkulturzentrums »Pumpe«, Tina Paar, hat der Regisseur und Dramaturg im vergangenen Jahr ein Projekt initiiert, in dem sich seine Theatergruppe und der etwa 70-köpfige Chor auf die Spuren der jüdischen Dichterin Mascha Kaléko begeben haben. Im Stück »Anderswo« wollen die KünstlerInnen Leben und Werk der Dichterin, die lange in Berlin lebte, bekannter machen, politisch-historische Zusammenhänge beleuchten und Menschen unterschiedlicher Herkunft und verschiedenen Alters zusammenführen.

Den Chormitgliedern haben sie das gemeinsame Projekt im Januar 2015 vorgestellt und erst mal gefragt »Macht Ihr das - oder nicht?«. Der Chor wollte. Tina Paar begann, Gedichte Kalékos zu vertonen - bislang gab es davon keine Chorsätze -, die Arbeit in der Theatergruppe lief parallel dazu. »Wir wollen Wortmusik machen - die Zusammenarbeit mit Tina Paar klappt dabei blind«, erklärt Zühlke.

Finanziert wird das Projekt durch eine Crowdfunding-Aktion. Im Herbst 2015 kamen innerhalb von sechs Wochen die nötigen 23 500 Euro für die Saalmiete und das künstlerische Team zusammen - neben den drei InitiatorInnen die Kostüm- und Bühnenbildner Anton Lukas und Vanessa Gärtner, sowie Stefanie Kaluza für Choreografie und Co-Regie.

Weßeling entdeckte Mascha Kaléko (1907 - 1975) dank der ersten Gesamtauflage ihrer Werke und Briefe, die vor ein paar Jahren von Jutta Rosenkranz herausgegeben wurde. Kaléko wurde ab 1929 vor allem durch ihre Großstadtgedichte bekannt, entwickelte sich zur weiblichen Stimme der Neuen Sachlichkeit. Ein Hauptreiz ihrer Dichtungen lag in der speziellen Mischung von Gefühl, Witz und Scharfzüngigkeit. Sie beschrieb treffend den Alltag in der Großstadt, die Welt der Angestellten und kleinen Leute und sah sich auch als sozial-politische Dichterin. Eine Devise von ihr lautete: »Wach bleiben! Aufpassen! Manchmal Nein sagen!«. »Das lyrische Stenogrammheft« erschien 1933 und wurde eines ihrer bekanntesten Bücher. Kurze Zeit später wurde ihre Dichtung verboten und nicht mehr verkauft.

»Kalékos Dichtung kann man nicht vom Leben trennen«, sagt Weßeling. Ihr Leben und Schaffen waren geprägt durch Flucht und die leidvolle Erfahrung eines jahrzehntelangen Exils in den USA - wohin sie mit ihrem zweiten Ehemann, dem Chordirigenten Chemjo Vinaver, und dem gemeinsamen Sohn emigrierte - und später in Israel.

»Sicherlich gibt es Parallelen zum heutigen Geschehen, zu Flüchtlingen, Pegida und AfD, aber wir konstruieren im Stück keine Eins-zu-Eins-Bezüge«, erklärt Weßeling. »Wir wollen aber unter anderem die Faschisierung der Literatur in der Nazi-Zeit zeigen. Wir kennen heute vor allem positiv besetzte Namen wie Tucholsky, aber damals betrieb beispielsweise die heute völlig unbekannte Kuni Tremel-Eggert in ihren Heimatromanen Nazipropaganda.« Ein Zitat aus deren Roman »Barb - Roman einer deutschen Frau«, der sich ab 1933 über eine Million Mal verkaufte, wird in »Anderswo« verwendet, eingebettet aber in ein politisches Gedicht von Kaléko, den »Chor der Kriegswaisen«, in dem es um das kurze Gedächtnis der Gesellschaft geht, die aus Kriegen nichts lernt. Die Beschäftigung mit diesen Texten löste im Chor heftige Diskussionen aus: Welche Begriffe aus der damaligen Zeit könne man heute überhaupt noch verwenden?

»Anderswo« verbindet Texte und Lieder der Dichterin - »Kalékos Dichtung kann man besonders gut vertonen«, finden die KünstlerInnen -, eingebettet in Geschichten, Kommentare und Bilder. Die Dramaturgie folgt keiner linearen Chronologie, vielmehr lautet die Grundfrage: Wie hängt ein Leben zusammen? Drei Orte, an denen Kaléko gelebt hat, werden von besonderem Interesse sein: Berlin, New York und Jerusalem. Hinzu kommen der bewegliche Einsatz des Chores, der die 17 teilweise sehr jazzig komponierten Lieder ohne Noten singen wird.

Die intensiven Proben laufen seit Januar. »Die Leute im Chor und in der Theatergruppe sind ja teilweise bis 75 Jahre alt, die arbeiten jetzt bis zur Belastungsgrenze, die haben ja alle auch Berufe!«, sagt Weßeling. Bei manchen löse die Arbeit mit Kalékos Gedichten starke Emotionen aus; eine der älteren Mitspielerinnen der Theatergruppe müsse immer an einer bestimmten Stelle in einem Gedicht weinen. Die Gründe dafür werde sie ihm später sagen, erzählt Weßeling und fügt dann noch hinzu: »Nach den Aufführungen brauchen wir wohl alle mal eine Pause«.

Premiere am 8. April, 20 Uhr, im Theatersaal Pumpe, Lützowstr. 42, Tiergarten. Weitere Termine: 9. und 10., 15., 16. und 17. April

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