nd-aktuell.de / 09.04.2016 / Kommentare / Seite 3

De Maizières nebulöses Nein

Ingo Niebel über die Vorbehalte des Bundesinnenministers, ein Terrorabwehrzentrum auf europäischer Ebene zu schaffen

Ingo Niebel

Zu den politischen Gepflogenheiten in Europa gehört es, dass Politiker nach einem Doppelanschlag mit drei Dutzend Toten, wie in Brüssel geschehen, nach mehr Kompetenzen für Polizei und Geheimdienste rufen. Insofern überrascht es nicht, dass die Deutsche Polizeigewerkschaft die EU-Mitgliedstaaten aufruft, sie müssten jetzt ein Gemeinsames Terror-Abwehr-Zentrum (GTAZ) nach hiesigem Vorbild schaffen. Ähnlich äußert sich der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Burkhard Lischka. Absolut nicht ins Bild passt, dass ausgerechnet Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) und sein Inlandsgeheimdienstchef Hans-Georg Maaßen diese Idee ablehnen. Lässt sich aus diesem Nein auf einen drohenden »Linksruck« der Christdemokraten ins Feld der Datenschützer und Verfechter bürgerlicher Freiheitsrechte schließen? Wohl kaum. De Maizières nebulöses Nein hat innenpolitische Gründe. Sein Ziel, Polizei und Geheimdienste zu verknüpfen, hat er nicht aus den Augen verloren.

In einem Interview mit dem »Tagesspiegel« brachte de Maizière seine Argumente gegen ein EU-GTAZ, ließ aber auch seine Begehrlichkeiten durchscheinen. Maaßen sekundierte - wie gewohnt - seinem Dienstherrn. So befürchtet er auf einmal, über ein EU-GTAZ könnten Geheimdienstinformationen, die nicht hundertprozentig geprüft seien, dazu führen, dass Menschen Schaden erleiden. Außerdem sei es in Deutschland sehr restriktiv geregelt, mit wem deutsche Dienste welche Informationen teilen.

Laut de Maizière lässt sich ein EU-GTAZ nicht »in Reinform« nach deutschem Vorbild schaffen, weil allein in Berlin-Treptow 40 deutsche Behörden tagtäglich dafür sorgen müssen, um hierzulande Anschläge wie die von Brüssel, Paris, London und Madrid zu verhindern. Da die EU momentan 28 Mitglieder zählt, kann man sich ausrechnen, welche Ausmaße eine solche Institution annähme. Darüber hinaus, so de Maizières zweites Argument, müssten die EU-Verträge neu verhandelt werden, um eine derartige Behörde ins Leben zu rufen.

Damit dürfte nach Wunsch des Innenministers und der Bundeskanzlerin Angela Merkel das Thema vom Tisch sein. Denn es ist in der jetzigen EU-Krise nicht umsetzbar und innenpolitisch kontraproduktiv: Ein europäisches GTAZ wirft die prinzipielle Frage auf, wie viel an nationaler Souveränität an diese neue Behörde abzugeben wäre. Dürfte sie grenzübergreifend tätig werden? Allein diese Überlegung reicht aus, um Öl ins Feuer der EU-Kritiker zu gießen. Dieses lodert gerade in den Niederlanden und im Vereinigten Königreich besonders hoch. In Deutschland profitiert die AfD in der Wählergunst vom europaweiten Anti-EU-Diskurs.

Um die Diskussion von diesem Brandherd wegzubekommen, schlägt de Maizière vor, die drei für Polizei und Geheimdienste wichtigsten europäischen Datenbanken besser miteinander zu verbinden. Das sind die Eurodac zur Speicherung von Fingerabdrücken, das Schengener Informationssystem für Fahndungen und das Visa-Informationssystem. Dass dabei der Datenschutz über kurz oder lang wieder auf der Strecke bleiben wird, nimmt der Pragmatiker de Maizière bewusst in Kauf. »Datenschutz ist schön, aber in Krisenzeiten und darüber hinaus, und wir sind in Krisenzeiten, hat die Sicherheit Vorrang«, bekannte er unmittelbar nach den Anschlägen in Belgien.

Schließlich nutzt der Innenminister die Gunst des Augenblicks doch noch und bringt indirekt ein Anliegen zur Sprache, mit dem er hierzulande bisher gescheitert ist: »Natürlich wäre eine weitergehende europäische Verknüpfung von Polizei und Nachrichtendiensten im Interesse der Sicherheit.« 2011 floppte sein Vorhaben, das Bundeskriminalamt mit der Bundespolizei zu einem deutschen FBI zu fusionieren. Dem würde dann nur noch die Abteilung Spionageabwehr des Verfassungsschutzes fehlen, um mit dem US-Vorbild gleichzuziehen. Aber vielleicht kommt das noch - nach dem nächsten Terroranschlag, der auch in Deutschland stattfinden könnte.