nd-aktuell.de / 11.04.2016 / Kultur / Seite 16

Schauen und schreiben

Christoph Funke tot

Hans-Dieter Schütt

Beginnt ein Theaterabend, heben sich zwei Vorhänge: der auf der Bühne und jener im Kopf des Zuschauers. Der mit dem Blick auf die Szene seine eigene Inszenierung entwirft. Die beobachtenden Augen diktieren in die Seele, in den Geist. Christoph Funke gehörte im Sinne dieses Umwandlungs-Vorganges zu den sprachfarbigsten Nach- und Weitererzählern des deutschsprachigen Theaters. Er war der schönen Beschäftigung verfallen, fortwährend aufzublicken, hoch zur Bühne. Seine Kritiken in der DDR hatten viel (Zeitungs-)Raum und eine Eigenheit, die bei aller Lust am Streit nie verletzend, vernichtend, verreißend war. Kein Ideologe; kein Intellektueller, der sich bespiegelte. Er besaß ein schillerndes Sprachvermögen, ging schreibend eigene Wege, aber blieb den Künstlern ein respektvoll und dankbar Folgender. Sprühend seine Leidenschaft für die Gaukler. Wer zwischen Rostock und Karl-Marx-Stadt Theater betrieb, kannte ihn; wer Schauspielkritik nicht nur als etwas Sinngemäßes begreifen, sondern im Gedruckten etwas sinnlich erleben wollte, las ihn.

Geboren wurde Funke 1934 in Chemnitz, er studierte Literaturwissenschaft bei Hans Mayer. In der Tageszeitung »Der Morgen« (der liberaldemokratischen Nebenstation der SED) stieg er vom Kulturredakteur zum stellvertretenden Chefredakteur auf, bis 1990. Dann freischaffend, frei schaffend - regelmäßig auch Autor für »neues deutschland«. Zahlreiche Bücher, über Heinrich Kilger, Horst Schönemann, Max Reinhardt, über Wolfgang Langhoff, Angelica Domröse, die Theaterstadt Berlin (vieles gemeinsam mit Dieter Kranz - der mit Margit Voss »Atelier und Bühne« leitete, einen Rundfunk-Klassiker der Kunstkritik, am Mikrofon immer auch Funke, in sächsisch gefärbter Treffsicherheit).

Sein Credo: »Ich war verstiegen genug, mich als Kritiker auch als Theaterschaffender zu fühlen. Als einer, der versucht, das, was Regisseure, Schauspieler, Bühnenbildner machen, unvoreingenommen an die Leser zu übermitteln. Vielleicht eine Grenzüberschreitung.« Wie jedes Schreiben, wenn es denn aus Talent kommt. Theater hat er betrachtet wie das Leben überhaupt: »Selbst wenn die Gefahr, enttäuscht zu werden, im Laufe einer langen Zeit wächst: Man muss versuchen, sich gegen das Verherrlichen lange vergangener großer Erlebnisse zu immunisieren. Es gibt nichts Neues auf der Erde? Dann allerdings wäre der Zeitpunkt da, aufzuhören.«

Er hat viel gesehen. Erfahrung galt ihm als wesentlich, wenn sie belastbar blieb. In den neunziger Jahren war Funke Mitglied der Theatertreffen-Jury. In einem späteren Buch über 50 Jahre Theatertreffen antwortete er auf die Frage, was er täte, wäre er noch immer Juror: »Ich würde den untauglichen Versuch machen, in der Jury daran zu erinnern, dass man auf dem Theater Geschichten erzählen kann.« Und in welchem Bühnenbild er wohnen möchte? »Da bleibe ich doch lieber zu Hause.« Am vergangenen Donnerstag ist Christoph Funke 81-jährig in Berlin gestorben.