Es gibt noch bessere Terrorziele als Jülich

Experte: Flugzeugabsturz kann zur Katastrophe führen

  • Marcus Meier
  • Lesedauer: 3 Min.
Der mutmaßliche Terrorist Salah Abdeslam soll das einstige Kernforschungszentrum Jülich ausspioniert haben. Dort wurde ein Forschungsreaktor mit atomwaffenfähigem Uran betrieben.

Die Geschichte klingt reichlich dubios: Hat der mutmaßliche Drahtzieher der Pariser Terroranschläge vom Oktober letzten Jahres, Salah Abdeslam, das Forschungszentrum, einst Kernforschungszentrum Jülich ausspioniert? Laut Medienberichten: offenbar ja.

Demgemäß hatte Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen Ende März einige Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums, das die deutschen Geheimdienste überwacht, ins Vertrauen gezogen. Der angebliche Inhalt der angeblichen Gespräche: In der Brüsseler Wohnung des islamistischen Terroristen Abdeslam seien Ausdrucke von Artikeln über das Forschungszentrum in der Nähe Aachens und Fotos von dessen Vorstandsvorsitzendem Wolfgang Marquardt gefunden worden. So berichtete es jedenfalls das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND), die zentrale Redaktion der Madsack Mediengruppe aus Hannover, unter Berufung auf mehrere Bundestagsabgeordnete und einen Terrorismus-Experten des Verfassungsschutzes.

Einhellig behaupten Verfassungsschutz, Bundeskanzleramt, Bundesinnenministerium und das Forschungszentrum, keine Informationen über den Sachverhalt oder eine Bedrohung der wissenschaftlichen Einrichtung zu haben. Doch Jülich liegt nahe der belgischen Grenze, ist bloß zwei Autostunden entfernt von Brüssel, dem Wohnort des vor vier Wochen verhafteten Salah Abdeslam. In der 32 000-Einwohner-Stadt wurde bis 1988 der Versuchsreaktor AVR betrieben - »überwiegend mit hochangereichertem, waffenfähigen Uran«, wie der AVR-Experte und Whistleblower Dr. Rainer Moormann 2014 in einer Stellungnahme schrieb.

Nun stehen dort 152 Castor-Behälter mit verbrauchten Brennelementen in zwei »Schrottlagern«, so Moormann. »Daraus könnte man mit sehr viel Geschick vielleicht eine einzelne echte Atombombe von der Kraft der Hiroshima-Bombe bauen«, sagt Moormann gegenüber »nd«. Für schmutzige Bomben sei das Material »natürlich« ebenfalls geeignet - also für Bomben mit nicht-atomarem Sprengsatz, die aber die Umgebung mit radioaktivem Material verseuchen. »Zum Klau von Material für den Bombenbau gibt es aus Terroristensicht in Deutschland weitaus attraktivere Ziele als Jülich«, schränkt Moormann indes ein.

Größere Sorgen bereitet dem Chemiker ein terroristischer Flugzeugabsturz: »Dann würden die Castoren wohl undicht, denn das Jülicher Lager ist das weitaus unsicherste in Deutschland und die Kugelbrennelemente sind brennbar.« Wenn es dann wegen des Kerosins zu einem lang anhaltenden Brand kommen würde, sei alles denkbar. »vom noch beherrschbaren Störfall bis zur Katastrophe«, fügt Moormann an.

Hubertus Zdebel mochte sich am Donnerstagnachmittag noch keinen Reim auf den »irren Vorgang« machen. Entweder handele es sich um eine Zeitungsente, das jedoch sei schwer vorstellbar, so der atompolitische Sprecher der Linksfraktion im Bundestag. Oder aber Verfassungsschutz-Chef Maaßen habe tatsächlich selektiv Bundestagsabgeordnete über eine reale Bedrohung informiert. Und nur sie.

Jülich sei ein anschlagrelevantes Ziel, meint Zdebel. »Und es wäre weltfremd zu glauben, Deutschland bleibe vom Nuklearterrorismus verschont.« Vordringlich sei jetzt, die Atomkraftwerke abzuschalten, weil von ihnen noch eine größere Gefahr ausgeht.

Der LINKE-Politiker fordert zudem mehr Transparenz. »Über die Risiken und die Maßnahmen gegen terroristische Angriffe hat die Bevölkerung und das Parlament ein Recht, besser informiert zu sein«, sagt Zdebel. »Zumindest in den wesentlichen Punkten.«

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