Warum? Die Frage bleibt

Deutsche Erstaufführung: Pietro Mascagnis »Iris« in der Neuköllner Oper

  • Lucía Tirado
  • Lesedauer: 4 Min.

Sie hätten die Stadt durchstreift, um nach Sängerinnen und Sängern zu suchen, die ein solches musikalisches Projekt authentisch vermitteln können, erzählt Bernhard Glocksin, künstlerischer Chef der Neuköllner Oper. Natürlich wurden sie fündig. Wir sind in Berlin. Glocksin schrieb zusammen mit Regisseur Fabian Gerhardt den Text für die aktuelle Opernfassung nach Luigi Illicas Vorlage für Pietro Mascagnis (1863-1945) erstmals 1898 in Rom aufgeführte »Iris«, die vier Jahre vor Puccinis »Madama Butterfly« entstand. Das neu eingerichtete Werk »Iris Butterfly« erlebte nun eine bravouröse Premiere im Neuköllner Musiktheater.

Für die beiden Arrangeure Alexandra Barkovskaya und Derik Listemann stellte sich die Aufgabe, die für großes Orchester und Chor geschriebene Oper für sieben Musiker einzurichten. Sie gaben elektronische Sounds dazu, die sich unterordnen. Eine großartige Leistung, einstudiert unter musikalischer Leitung von dem in bewährter Manier am Hause arbeitenden Hans-Peter Kirchberg. Es gelang das Vorhaben, »Schönheit und Raffinesse« der Musik Mascagnis ins Heute zu bringen.

Ein Grollen charakterisiert den Beginn der Ouvertüre, die zögernd in Leichtigkeit übergeht. Aber das Ahnen von tragischen Geschehnissen ist da angeschoben. Ausschließlicher männlicher Machtanspruch wird schon wenig später erkennbar, wenn das Mädchen Iris mit seinem blinden Vater ins Bild kommt. Besitzergreifend rücksichtslos betastet er sein sich windendes Kind.

Aus dieser Misere will Iris nur zu gern entfliehen und lässt sich von einer Theatergruppe vom Dorf in die große Stadt locken. Offen bleibt, ob der Vater die Tochter an den sich als Zuhälter entpuppenden Theatermann verkauft hat. Er will davon später nichts mehr wissen, als er sein Kind gnadenlos verurteilt. Das Mädchen gerät in seiner Naivität vom Regen in die Traufe. Ohne Chance. Tod und Lust paaren sich gegen sie. Greift sie auch sehnsuchtsvoll nach dem Leben, es bleiben ihr nur das Sterben und die Frage nach dem Warum.

Die Bühne zeigt einen japanischen Teeplatz wie unterm Mikroskop - umgeben von Shojis, Papierwänden. Nach einer erfreulich überraschenden Idee erscheinen auf Paravents anfangs seitlich der Vater-Tochter-Szene die Gesichter kommentierend begleitender Sänger als Mangas. Auch die Theaterszene ist von dieser Zeichentradition in der Ausstattung von Rebekka Dornhege Reyes und Nina Thielen hervorragend durchdacht. Überbordend bunt ist alles. Fremd also für die von uns gewohnte Opernbühne, zumal das Licht starke Stimmungen zu erzeugen vermag. Alles hat Maß. Bei den Videos von Vincent Stefan ist die Situation nah am Kippen. Das Zarte und Schöne gelingt gut; wenn es ins Dramatische geht, wird es höllisch.

Den Kitschvorwurf weisen die Macher jedoch zurück. Vielmehr wollen sie die fremde Kultur übers Gefühl heranholen. Akribisch recherchierten sie über das Leben des Komponisten, setzen sich im Programmheft damit auseinander, wie er mit dem Verismus die Sensationsgier des Publikums zu befriedigen suchte. Thematisiert wird des Weiteren, wie er in der Zeit des Faschismus mit seiner Kunst zum Brot, zur Macht ging. Auch der Rolle der Frau in Japan sind Passagen gewidmet.

Der Geist Nippons, des Landes der aufgehenden Sonne, wird von der Japanerin Yuri Mizobuchi in Originalsprache beschworen. Die Mezzosopranistin, deren Gesicht man auf dem Theaterplakat sieht, überzeugt als Puppe und als Geisha an der Seite der Koreanerin Seri Baek.

In der Neuköllner Oper gewohnt ausgezeichnet sind die Stimmen exzellent ausgebildeter Sänger. SuJin Bae (Iris) bildete ihre kraftvolle Sopranstimme im Studium in Südkorea und in Berlin aus. Aus Seoul stammt Elias Han (Bass), der es vermag, dem Vater glaubwürdig alte Körpersprache zu geben. Traditionelle japanische Musik studierte der aus Brasilien stammende Tenor Gustavo Eda. Er verkörpert den Zuhälter Osaka. So unbarmherzig die Rolle auch ist, der Solist strahlt zurückgehaltene, nahezu rührende innere Heiterkeit aus. Als Helfershelfer Kyoto ist der Bariton Till Bleckwedel dagegen pragmatisch charakterisiert.

Die Neuköllner Oper macht es möglich, die Solisten aus der Nähe kennenzulernen. In der Reihe »Alles außer Sushi - Mein Asien« stellen sie sich in der »Hofperle« an selber Adresse vor.

Nächste Vorstellung am 17. April, 20 Uhr, Kartentel.: (030) 68 89 07 77; »Alles außer Sushi - Mein Asien« am 25. April, am 2. und 9. Mai, jeweils 20 Uhr, Kartentel.: (030) 56 82 92 49, Karl-Marx-Str. 131, Neukölln.

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