Hier twittert die Polizei

In den sozialen Medien starten Sicherheitskräfte eine Kampagne zur Verkehrssicherheit

  • Elsa Koester
  • Lesedauer: 4 Min.
Eine Woche lang twittert die Polizei in mehreren Bundesländern live von Verkehrsunfällen mit Verletzten. Sie will damit die Sicherheit erhöhen. Der Einsatz mobiler Blitzer wäre sinnvoller, findet die LINKE.

Der interaktive Einsatz der Polizei in den sozialen Medien ist längst eine Erfolgsgeschichte. Gut gelaunt und locker gibt sich das Twitterteam auf dem Berliner Einsatzaccount »@PolizeiBerlin_E«. Das kommt gut an. »Boah krass. 100.000 Follower - wir sind total stolz und sagen Danke weitergehts«, konnte die Polizei im April über den Kanal jubeln, gerade einmal zwei Jahre nach seiner Gründung.

Das gute Image soll jetzt zur Verbesserung der Verkehrssicherheit in der Hauptstadt genutzt werden. Ab Montag will die Polizei in Berlin und einigen weiteren Bundesländern eine Woche lang jeden Verkehrsunfall twittern, bei dem Personen verletzt wurden. Das sind einige: Jede halbe Stunde rummst es in Berlins Straßen, insgesamt wurden im vergangenen Jahr rund 140 000 Verkehrsunfälle gemeldet.

Auch am Montag dauerte es keine Stunde bis zu den ersten Unfall-Tweets. »Kein Bein- aber Nasenbruch bei Kollision zwischen Radfahrer & Pkw in Berlin-Kreuzberg. Funkwagen und Feuerwehr sind unterwegs. 8geben«, hieß es da, ein Foto gab es allerdings nicht. Bilder von ausgewählten Unfallorten sind jedoch Teil der Kampagne - damit die Bevölkerung möglichst authentisch die Folgen eines schweren Verkehrsunfalls nachempfinden kann, heißt es bei der Berliner Polizei. Durch erhöhte Aufmerksamkeit sollen Unfälle reduziert werden.

Dafür wartet die Polizei mit hübschen Info-Grafiken auf: Alle zwei Stunden verunglückt ein Radfahrer, alle zwölf Stunden ein Kind, alle acht Tage wird ein Verkehrsteilnehmer bei einem Unfall getötet, ist zu lesen. Dazu lächeln Tom und Yvonne aus der Twitter-Einsatzzentrale in die Kamera. Persönlicher Einsatz und volle Transparenz, wie es sich in den sozialen Medien gehört.

Volle Professionalität attestierte der Polizei auch Benedikt Lux, Experte der Berliner Grünen für Innenpolitik und Datenschutz. »Die Grenze solcher Twittereinsätze sind die Persönlichkeitsrechte: Die Polizei muss stark aufpassen, keine personenbezogenen Daten wie Auto-Kennzeichen, Alter oder Beruf der Betroffenen zu veröffentlichen.« So lange der der Datenschutz gewahrt bleibe, sei es aber gut, wenn die Polizei über Twitter die Aufmerksamkeit für die Vorsicht im Verkehr schärfe.

Die jüngste Kampagne ist nur eine unter vielen. Regelmäßig veranstaltet die Berliner Polizei 24-Stunden-Marathons, bei denen fast jeder Einsatz im Netz dokumentiert wird. Das zuständige Social Media-Team wurde im vergangenen Jahr von zwei auf sechs Vollzeitkräfte verdreifacht.

Auch die Einsatzgebiete von Twitter & Co nehmen zu. 2013 wurde auf der Innenministerkonferenz beschlossen, soziale Medien verstärkt zur Öffentlichkeitsfahndung zu nutzen. Seither postet auch die Polizei Berlin Fahndungsfotos von Überwachungskameras auf Facebook und Twitter, um Zeugen zu finden. Scheinbar erfolgreich: Nicht selten folgte nur wenig später ein Hinweis, der Verdächtige oder ein Zeuge hätten sich gemeldet. FahndungErledigt, heißt dann der betreffende Hashtag, also das Schlagwort

»Durch sozialen Medien und dadurch, dass wesentlich mehr Bilder von Überwachungskameras zur Verfügung stehen, nimmt die Öffentlichkeitsfahndung zu«, stellt auch Lux fest. So lange das Informationsanliegen der Polizei im Vordergrund stehe und nicht Sensationslust gefördert werde, sei das »völlig in Ordnung.«

Ganz so einfach ist das Getwittere der Polizei rechtlich jedoch nicht. Den Tweets sind inhaltlich nicht nur im Bereich der Persönlichkeitsrechte enge Grenzen gesetzt, was insbesondere das Twittern von Fotos einschränkt. Auch im Hinblick auf die Meinungsäußerung müssen die polizeilichen Twitterer aufpassen. Für Aufregung sorgten im vergangenen Jahr einige Tweets der Polizei Frankfurt rund um die Blockupy-Proteste gegen die Europäische Zentralbank. Ein Foto von vermummten Demonstranten in vorwiegend schwarzer Kleidung kommentierte die Frankfurter Polizei mit der Frage »Bunter Protest?« und dem Hashtag der Aktionstage. Hart an der Grenze zu einer politischen Wertung, vielleicht sogar rechtswidrig, befand damals ein Rechtsexperte der Universität Frankfurt, Felix Hanschmann.

Rund um den 1. Mai in Berlin sind solche Fehltritte noch nicht aufgefallen. Hakan Taş, innenpolitischer Sprecher der LINKEN, hat jedoch ein Auge auf die interaktive Polizei. »Die Tweets dürfen auch am 1. Mai lediglich informieren - die Polizei darf über Twitter nicht beeinflussen oder einschüchtern, wie dies bei Blockupy der Fall war.« Die Aufklärungskampagne zur Verkehrssicherheit findet aber auch er eine gute Sache. Allerdings stelle sich schon die Frage, wo das Personal besser eingesetzt sei: Am Smartphone oder auf den Straßen. Denn, so Taş: »Wenn es nicht genug Polizeibeamte gibt, um mobile Blitzer aufzustellen, nutzt der beste Tweet nichts.«

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