nd-aktuell.de / 21.04.2016 / Politik / Seite 2

Gefangen in Griechenland

Tausende Geflüchtete sitzen in regulären und irregulären Camps fest

Björn Kietzmann
Idomeni und Moria - die beiden Namen stehen mehr denn je für komplett zerbrochene Hoffnungen - die der jäh festsitzenden Flüchtlinge und die auf eine menschlicher agierende Europäische Union.

Wenn sich der Morgennebel zwischen den Zelten legt und das Camp langsam erwacht, sind es zuerst die Schreie von Kindern, die mit ihrem Husten und Weinen, die Stille brechen. Nach und nach öffnen sich die ersten Zelte. An einem prangen die Worte »Helft uns! Es ist kalt!«. Seitdem mehrere Balkan-Länder ihre Grenzen für Flüchtlinge geschlossen haben, erreichen nur noch wenige Schutzsuchende Deutschland - dafür stecken nun mehr als 50 000 Menschen in Griechenland fest. Mehr als 10 000 von ihnen sind alleine in einem irregulären Camp im kleinen Örtchen Idomeni unmittelbar an der mazedonischen Grenze. Hier trotzten sie frostigen Temperaturen, stürmischen Winden, drückender Hitze und tagelang anhaltenden Regengüssen, die ihre Zelte im Schlamm versinken ließen.

»Wenn wir in offizielle Camps gehen, wird man uns vergessen«, befürchtet ein 18-jähriger Syrer, der über einem Feuer Teewasser kocht. Besonders an regnerischen Tagen verbrennen viele im Camp Plastik, da die feuchten Holzscheite alleine nicht brennen. Die beißenden Rauchschwaden nehmen einem die Luft zum Atmen. Wie viele andere möchte der junge Mann nicht in Griechenland bleiben. Einerseits, weil die Bevölkerung des Landes selbst unter den Folgen der Finanzkrise leidet, andererseits haben seine Verwandten inzwischen in Deutschland Zuflucht gefunden.

Idomeni ist derzeit das größte griechische Flüchtlingslager. Bis Februar war es der Ort, an dem jeden Tag hunderte Menschen die Grenze zu Mazedonien passieren konnten. Für sie hat sich die schwere Metalltür im meterhohen Zaun geöffnet. Anschließend sind sie registriert worden und haben ein Zugticket bis zur serbischen Grenze kaufen können. Seitdem hoffen die Menschen in Idomeni darauf, dass sich die Grenze wieder öffnet, die für sie geschlossen ist.

Eine Hoffnung, die lange nicht schwand. Weder als griechische Polizisten angefangen haben, Flugblätter zu verteilen, auf denen stand, dass sich diese Grenze nicht mehr öffnen wird und die Menschen deshalb in offizielle Camps gehen sollen, noch als zwar mehr als 2000 Menschen Mazedonien erreichten, dort aber mit vorgehaltenen Waffen gewaltsam zurück nach Griechenland gebracht wurden.

Nachdem ein weiterer Versuch weiterzukommen damit endete, dass Schwaden aus Tränengas über dem Camp lagen, ist bei einigen die Hoffnung der Ernüchterung gewichen. Hunderte haben sich zu Bussen begeben, die sie in Camps der griechischen Regierung gebracht haben. Andere wollten nicht aufgeben. »Das ist für mich Alltag. Bei uns in Palästina gibt es so etwas jeden Tag«, rief ein etwa 15-jähriger Junge am Tag nach den Ausschreitungen provozierend in Richtung der Soldaten auf der anderen Seite des Grenzzauns. Wenige Meter weiter ringt ein verzweifelter Familienvater mit den Tränen: »Ich bin mit meinen Kindern vor dem Krieg geflohen - wir kommen aus Syrien. Wie könnt ihr denn bloß auf uns schießen.«

Auf dem ehemaligen Flugplatz im 22 Kilometer entfernten Nea Kavala leben fast 4000 Flüchtlinge in den dicht an dicht aufgebauten 600 ungeheizten Kleingruppenzelten des griechischen Militärs. Ein kleiner Junge saugt tröpfelndes Wasser aus einem voll aufgedrehten Hahn. Waschräume gibt es im Lager keine, stattdessen stehen einige Wasserhähne ungeschützt am Wegrand. Bis vor einigen Wochen habe es noch Trinkwasser aus Plastikflaschen gegeben, doch nun bleibt nur das Leitungswasser, erklären Bewohner. Es sei nicht das erste Mal, dass die Wasserversorgung für einige Stunden unterbrochen ist, berichten sie weiter.

Der verantwortliche Offizier ist sich sicher, dass es vielen Menschen hier besser geht als etwa in Idomeni. Viele Klagen über die Zustände im Camp kann er nicht verstehen. Doch einige Missstände räumt auch er ein: »Wenn es regnet, haben wir hier ein Problem - dann steht das Gelände unter Wasser.« Außerdem sei die Versorgung von kleinen Kindern mit Milch und Windeln nur möglich, wenn diese gespendet werden.

Doch es sind nicht nur die schlimmen Bedingungen in Lagern, die den Menschen zu schaffen machen. Flüchtlinge, die legal in andere EU-Länder weiterreisen möchten, können einen Antrag für das Relocation-Programm stellen. Wird dieser angenommen, werden sie einem anderen EU-Land zugewiesen. Ein Mitspracherecht bei der Auswahl des Landes gibt es nicht. Zerrissene Familien können auch einen Antrag auf Familienzusammenführung stellen. Wer Entsprechendes beantragen will, muss sich via Skype an den griechischen Asyl-Service wenden. Doch die Leitungen sind aufgrund fehlender Sachbearbeiter fast unerreichbar. Nur eine sehr überschaubare Anzahl an Anträgen wird so jeden Tag entgegengenommen. Die anschließende Bearbeitung dauert zudem viele Monate. Insbesondere wegen der faktischen telefonischen Nichterreichbarkeit halten zahlreiche Flüchtlinge die Programme eher für einen Schwindel als für eine tatsächliche Option.

Flüchtlinge, die nach dem 19. März in Griechenland ankamen, haben nicht einmal diese Möglichkeiten. Gemäß einer EU-Türkei Vereinbarung droht ihnen die Abschiebung zurück in die Türkei. Erste Sammelabschiebungen durch die EU-Grenzschutzagentur Frontex wurden bereits vollzogen, weshalb nun fast alle Betroffenen Asylanträge in Griechenland gestellt haben. »Wir bekommen hier gar keine Informationen, dass ist das Schlimmste«, sagt ein Eritreer durch den geschlossenen Zaun des Moria Camps auf der Insel Lesbos. Täglich gebe es Streit, weil nicht einmal genügend Essenrationen für die etwa 3000 Flüchtlinge vorhanden sei. Nicht nur Erwachsene leben in dem Gefängnis, in das jeder Flüchtling gebracht wird, der derzeit auf der Insel ankommt. Das Gespräch am Zaun endet abrupt mit dem Eintreffen von zwei Polizisten; es sei nicht erlaubt, mit den Flüchtlingen zu sprechen. »Für uns sind das hier Gefangene«, erklärt der Beamte. In anderen EU-Ländern dürfe man doch auch nicht einfach so mit Inhaftierten sprechen.