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Bauernaufstand gegen Kenia

Koalition in Sachsen-Anhalt ist noch nicht am Ziel

  • Hendrik Lasch, Magdeburg
  • Lesedauer: 4 Min.
In Sachsen-Anhalt haben sich CDU, SPD und Grüne auf einen Koalitionsvertrag geeinigt. Nun entscheidet die Basis. Weil es bei der Union gärt, ist die Wahl des Ministerpräsidenten noch keineswegs sicher.

Die Bauern, Jäger und Forstwirte in Sachsen-Anhalt bleiben weiter auf der Barrikade. Eine Woche nach einer Demonstration mit 500 Teilnehmern und einer beeindruckenden Armada an Agrartechnik in Magdeburg haben 16 Verbände aus dem ländlichen Raum einen offenen Brief an Abgeordnete und Kreisvorsitzende der CDU geschrieben. Sie äußern darin »größte Sorge«, dass in einer Koalition aus CDU, SPD und Grünen das Ministeriums für Landwirtschaft und Umwelt an die Ökopartei abgetreten wird. Diesen wirft man eine von »Diktat und Ideologie« geprägte Politik vor.

Der Unmut auf dem Land ist Zündstoff für das bundesweit erste schwarz-rot-grüne Bündnis, das als »Kenia-Koalition« bezeichnet wird - und eigentlich in den Startlöchern steht. Am Dienstag hatten sich Unterhändler der drei Parteien nach sieben Stunden währendem Ringen auf einen 100 Seiten starken Vertrag geeinigt, in dem unter anderem mehr Polizisten und Lehrer sowie mehr Geld für die Kommunen in Aussicht gestellt wird, zudem ein Integrationsgesetz, ein Beschäftigungsprogramm für Langzeitarbeitslose und eine zuverlässige Finanzierung der Hochschulen.

Auch die Verteilung der Ministerien hatten die Partner geklärt. Die CDU soll mit Reiner Haseloff den Ministerpräsidenten stellen, dazu den Chef der Staatskanzlei und sieben Minister. Die SPD wird für Wirtschaft und Wissenschaft sowie für Soziales zuständig. Die Grünen erhalten ein Ministerium: das um Energie und Verbraucherschutz ergänzte Ressort für Umwelt und Landwirtschaft, das die Ex-Fraktionschefin Claudia Dalbert führen soll.

Vor allem um den Zuschnitt dieses Hauses war lange gerungen worden. Die Grünen hatten zunächst zwei kleine Ministerien gefordert, was aber die Arithmetik im Kabinett gestört hätte. Die SPD hätte dann auf drei Ressorts pochen können; um die Machtverhältnisse angemessen zu spiegeln, hätte das Kabinett insgesamt vergrößert werden müssen, was Haseloff ablehnt. Dalbert, die Psychologin ist, wollte lieber Kultusministerin werden; ihre Basis pochte aber auf das Umweltressort. Wegen der Bauernproteste sollen die Grünen dem Vernehmen nach zeitweise bereit gewesen sein, den Bereich Agrar gegen ein anderes Feld zu tauschen; ihre Ministerin brauche sonst Personenschutz, sagte eine prominente Grüne. Haseloff ging darauf indes nicht ein; Dalbert bleibt auch für Agrar zuständig.

Darüber sind nicht nur die Bauern sauer; auch Teile der CDU dürften die Entscheidung als Affront empfinden. Die Partei sieht sich als Vertreterin des ländlichen Raums; die Demonstration vorige Woche wurde demonstrativ von Landtagspräsident Hardy Peter Güssau sowie Markus Kurze, dem parlamentarischen Geschäftsführer, besucht. Der Schulterschluss hat gute Gründe: Ihren Sieg bei der Landtagswahl verdankt die CDU auch dem Umstand, dass Wähler in Börde, Altmark oder Jerichower Land ihr die Treue hielten und nicht, wie im Süden des Landes, zur AfD abwanderten.

Auf dem Parteitag, auf dem am Freitag die CDU-Basis über den Koalitionsvertrag abstimmen soll, dürfte das für muntere Diskussionen sorgen. Während sich bei SPD und Grünen bereits in etlichen Regionalkonferenzen unter der Woche Zufriedenheit mit dem Vertrag abzeichnete und Parteitage am Samstag dem Papier klar zustimmen dürften, ist die CDU zum Wackelkandidaten geworden. Auch andere Punkte im Vertrag sorgen für Unmut - etwa die Klausel zur Braunkohle, die besagt, dass es keine neuen Gruben und Kraftwerke im Land geben soll. Im Burgenland, der Kohlerevier ist, empfahl ein Kreisparteitag der CDU den Delegierten offen, den Koalitionsvertrag abzulehnen.

Und selbst wenn die Kritiker am Freitag in der Minderheit bleiben sollten, ist Kenia noch nicht sicher auf dem Weg. Am Montag soll Haseloff zum Ministerpräsidenten gewählt werden. Die Verfassung regelt, dass er »die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Landtags« benötigt. Das Bündnis aus CDU, SPD und Grüne, zu dem es im Parlament keine realistische Alternative gibt, stellt 46 der 87 Abgeordneten; es reichen also drei Abtrünnige, um die Wahl zu torpedieren. Wird in zwei Wahlgängen kein Ministerpräsident gewählt, stimmt der Landtag laut Verfassung über seine Auflösung ab - Neuwahlen stünden im Raum.

Daran kann freilich außer der AfD, die schon jetzt ein Viertel der Abgeordneten stellt und wohl weiter zulegen würde, keine Partei ein Interesse haben. Burkhard Lischka, Landeschef der SPD, sagt denn auch, seine Partei kämpfe für diese Koalition, weil »alles andere für dieses Land eine Katastrophe wäre«. Ob das auch allen in der CDU bewusst ist, kann freilich nicht als sicher gelten. Als kürzlich die Vizepräsidenten des Landtags gewählt wurden, erhielt ein AfD-Mann 21 Stimmen jenseits der eigenen Fraktion, mutmaßlich aus der CDU.

Einige von deren Kreisfürsten liebäugeln offen mit einer Kooperation mit den Rechtspopulisten. Nimmt man die Unzufriedenheit mit dem Vertrag hinzu, entsteht eine durchaus brisante Gemengelage. Ob es zum großen Knall kommt, zeigt sich Montag gegen Mittag.

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