nd-aktuell.de / 30.04.2016 / Politik / Seite 16

Spagat in der Wünsch-Dir-was-Fabrik

Thüringens Landesentwicklungsgesellschaft hat bei vielen Projekten ihre Finger im Spiel - sind es zu viele?

Sebastian Haak, Erfurt
Thüringens Landesentwicklungsgesellschaft (LEG) war oder ist an etlichen Projekten beteiligt, die in die Negativschlagzeilen gerieten. Doch ist die Kritik angemessen?

Ob er sich auch ungerecht behandelt fühlt? Also nicht als Mensch, sondern als führender Mitarbeiter der Landesentwicklungsgesellschaft (LEG) Thüringen? Man kann diesen Eindruck gewinnen, wenn man Frank Krätzschmar zuhört. »Ich nehme wahr, dass wenn es Verzögerungen gibt, man schnell bei der LEG ist«, sagt er. Oder: »In unserem Geschäft gibt es eben eine hohe Erwartungshaltung.« Oder: »Es ist schon ein Stück Frustrationspotenzial da bei unseren Mitarbeitern, weil sie für Dinge verantwortlich gemacht werden, für die sie nichts können.« Als Krätzschmar dann aber das Wort »ungerecht« hört, da hebt er die Hände. Soll heißen: »Ungerecht? Nein! Jetzt übertreiben Sie!« Dann geht spricht er weiter: »Ich würde mir schon wünschen, dass diejenigen, die von diesen Investitionen profitieren, auch mal anerkennen, was da geleistet worden ist.«

Die Szene ist voller Widersprüche. So wie die Wahrnehmung der Landesentwicklungsgesellschaft Thüringen - die in der Regel mit LEG abgekürzt wird und der Krätzschmar als einer von zwei Geschäftsführern vorsteht - voller Widersprüche ist.

Bei so ziemlich jedem größeren Wirtschaftsprojekt in Thüringen ist das Unternehmen einerseits irgendwie beteiligt. Als der Sozialdemokrat Matthias Machnig noch Landeswirtschaftsminister war, gab es kaum eine Pressekonferenz, auf der er nicht auf die LEG verwies oder bei der LEG-Vertreter mit dabei waren, wenn Machnig wieder eine seiner Ideen für Thüringen vorstellte: Gewerbegebiete erschließen, Fachkräfte binden, das Image des Freistaats aufwerten ... Manchmal wird die LEG deshalb als große Wünsch-Dir-was-Fabrik beschrieben. Ein Dienstleister, der immer das liefern muss, was Landespolitiker sich so erträumen - und was über die bisweilen verkrusteten Strukturen der Landesverwaltung kaum zu bekommen ist.

Wer die LEG so beschreibt, hat nicht selten Mitleid mit deren etwa 240 Beschäftigten, die ständig springen müssen, wenn die Politik ruft. Die LEG ist zwar wie ein privates Unternehmen aufgestellt: als Gesellschaft mit begrenzter Haftung. Aber der alleinige Gesellschafter der 1992 gegründeten Firma ist eben der Freistaat Thüringen. Andererseits: Bei so vielen Projekten an denen die LEG beteiligt ist, schimpfen andere Mit-Macher über deren Mitarbeiter beziehungsweise darüber, wie diese agieren. Es ist bezeichnend, dass dieses Schimpfen fast ausnahmslos hinter verschlossenen Türen stattfindet. Oder in vertraulichen Telefonaten. Dass der Präsident des Thüringer Rechnungshofes, Sebastian Dette, die breite Aufstellung der LEG öffentlich kritisiert und damit für wenig Freude bei der LEG, aber auch in den Thüringer Ministerien für Wirtschaft- und Finanzen sorgen dürfte, ist eher ein Beispiel für die Ausnahme als für die Regel. Weil die LEG auch mächtig ist. Wer wirtschaftlich etwas bewegen will in diesem Land, kommt an ihr kaum vorbei. Solche Player möchte niemand zum Feind haben.

In Oberhof lässt sich all das seit Jahren gut beobachten. Dass viele Menschen in dem Städtchen am Kamm des Thüringer Waldes unzufrieden sind mit der LEG, das hat zum Beispiel mit den ehemaligen Hotels Jägerstein und Villa Nix zu tun. Die LEG kaufte beide Immobilien vor Jahren samt einer dazugehörigen fast 20 000 Quadratmeter großen Fläche von Investoren, die die Hotels zuvor über eine Zwangsversteigerung günstig aus privater Hand erworben hatten. Die LEG tat das in der Hoffnung, dort werde ein neuer Investor schnell ein Vier-Sterne-Hotel bauen.

Etwa 700 000 Euro - Krätzschmar bestätigt diesen Kaufpreis - zahlte die LEG dafür. Allerdings hat der Investor seine Pläne bis heute nicht wirklich voranbringen können. Bislang will keine Bank die etwa 38 Millionen Euro finanzieren, die die Anlage nach Angaben des Investors kosten soll. Obwohl der Freistaat für das Projekt Fördermittel in Höhe von mehr als elf Millionen Euro in Aussicht gestellt hat. Und so stehen die zwei Bruchbuden noch immer ebenso im Portfolio der Gesellschaft. Bürgermeister Thomas Schulz beschreibt das Agieren der LEG in seiner Stadt freundlich. Als genau den - mal mehr, mal weniger erfolgreichen - Spagat, den das Unternehmen überall im Freistaat regelmäßig vollführen muss, weil es helfen und dabei bloß nichts falsch machen soll.

Das schlechte Image der LEG in Oberhof, sagt Schulz, habe vor allem damit zu tun, dass die LEG an vielen der dortigen Projekte beteiligt gewesen sei oder ist und es dabei nicht selten Turbulenzen gegeben habe. Beim Umbau der Rennsteigtherme zum H2Oberhof etwa »haben mehrere Firmenpleiten allen das Leben schwer gemacht«. Bei der laufenden Errichtung eines Parkdecks in der Stadtmitte, »wurde aufgrund starker Zerwürfnisse eine Kündigung der Baufirma notwendig«. Beide Fälle habe die LEG »nicht zu vertreten«, auch wenn sie in der Wahrnehmung vieler dafür verantwortlich gemacht werde. Und was die Hotels angeht: »Da begrüße ich ausdrücklich das Engagement der LEG.«

Bei Stadträten klingt das Ganze in geschlossenen Räumen oft völlig anders. Bei den Plänen für das Vier-Sterne-Hotel ist völlig unklar, wie es weiter geht. Sollte der potenzielle Investor nicht bald eine Finanzierung für die geplante Anlage vorlegen können, will die LEG die alten Hotels auf eigene Kosten abreißen lassen. Krätzschmar sagt, er verspreche, bis zum nächsten Biathlon-Weltcup seien die beiden Ruinen aus dem Stadtbild verschwunden. Eine erste, noch vage Schätzung in seinem Haus, sagt Krätzschmar, habe ergeben, dass der Abriss der Hotels wohl etwa eine halbe Million Euro kosten werde. Heißt aber: Auch dieses Geld müsste die LEG noch aufbringen, nachdem sie ja schon den Kaufpreis für die Immobilien zu zahlen hatte, der hinter vorgehaltener Hand gerne als völlig überzogen bezeichnet wird.

Inzwischen wird auch grundsätzlich über die Aufstellung des Unternehmens diskutiert - obwohl das Thüringer Wirtschaftsministerium die LEG und ihre breite Aufstellung verteidigt. Dass sich ein Land eine Landesentwicklungsgesellschaft leiste, sei keine Thüringer Ausnahme, »sondern durchaus gängige Praxis auch in anderen Bundesländern«, sagt eine Sprecherin des Ministeriums. Wirtschaftsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) sitzt dem Aufsichtsrat der LEG vor. Und die Sprecherin sagt: »Die LEG nimmt eine zentrale Rolle als operative Einheit ein und kann in den vergangenen Jahren auf bedeutende Ansiedelungserfolge und die damit verbundenen Arbeitsplatzeffekte verweisen. Würde man hier Aufgaben wegnehmen, hätte das entscheidende Auswirkungen auf die Landesentwicklung.«

Rechnungshofpräsident Dette bestreitet das freilich. Er sagt zudem: »Nach unseren Erkenntnissen verfügt kein anderes Land über eine vergleichbare Landesentwicklungsgesellschaft.« Dette verweist dazu auf den Paragrafen 65 der Landeshaushaltsordnung, in dem dargelegt ist, dass der Freistaat sich nur dann an einem privaten Unternehmen beteiligen darf, wenn es dafür »ein wichtiges Interesse des Landes« gibt.

Die Liste der Projekte, an denen die LEG irgendwie beteiligt war oder ist, und die in den vergangenen Monaten oder Jahren in die Negativschlagzeilen geraten sind, lang ist. Dazu gehören: Der Versuch, die alte Defensionskaserne in Erfurt wieder sinnvoll - etwa als Bürogebäude - zu nutzen. Auch dieses Projekt verzögert sich immer weiter. Dann der Verkauf von Schloss Hummelshain im Saale-Holzland-Kreis an einen dubiosen Investor - ein Vorgang, den die Ostthüringer Zeitung einst eine »unglaubliche Geschichte« nannte. Der Versuch, aus Thüringen auspendelnde Fachkräfte über eine LEG-Agentur in großer Zahl wieder ins Land zu holen. Oberhof ist eben nur ein Beispiel.