Was lange währt, klingt gut

An der Oper Leipzig wurde Wagners »Ring« mit der »Götterdämmerung« geschlossen

  • Roberto Becker
  • Lesedauer: 4 Min.

Manches verklärt sich in der Erinnerung. Der Leipziger »Ring« in der Regie von Joachim Herz gehört sicher dazu. Vierzig Jahre sind eine lange Zeit. Im Zuschauerraum gibt es gewiss den einen oder anderen Augen- und Ohrenzeugen. Einschließlich der damalige Brünnhilde Sigrid Kehl. Einen Videomitschnitt von damals gibt es nicht. Doch dass jener Leipziger »Ring« ein Meilenstein der Rezeptions-Geschichte ist (neben dem »Jahrhundert-Ring« von Patrice Chéreau, der kurz danach Bayreuth erschütterte, oder viellicht auch dem aktuellen von Frank Castorf), das ist unstrittig.

An die Großtat von damals knüpft der neue »Ring« - das kann man jetzt nach seiner Vollendung resümieren - definitiv nicht an. Die von Rosamund Gilmore dem »Ring«-Personal zur Seite gestellten Tänzer, die alles mögliche verkörpern (Wotans Raben, Frickas Mägde, den Rhein oder irgendwelche Schatten) rufen zwar für Momente das getanzte Feuer von damals in Erinnerung. Auch beim Trauermarsch könnte man den Mann, der da im Hintergrund einen Toten über den Schultern entlangschleppt, zu einer Referenz an Joachim Herz hochinterpretieren. Man vergisst nie wieder, wie bei ihm der alte Wotan um seine ermordete letzte Hoffnung auf eine bessere Welt trauert.

Solche Geniestreiche unterlaufen Gilmore nicht. Die wohl gewaltigste Opernstaatstrauer missglückt sogar regelrecht. Es wirkt albern, wenn Hagen Siegfried einfach erdolcht und der auf einen erlegten Hirsch plumpst, damit er von den dienstbaren Geistern bequem von der Bühne gezogen werden kann. Und dann räumen sie auch gleich noch die Klappstühle mit weg! Viele von Gilmores szenischen Lösungen kommen über diese Melange aus praktisch und kleinteilig nicht hinaus.

Carl-Friedrich Oberles Einheitsbühnenbild hat freilich das Format, das zum großen Untergang gebraucht wird. Es ist so durchdacht, dass es für alle Schauplätze bequem langt. Fünf 14 Meter hohe Säulen imaginieren die Selbstüberhebung der Herrschenden, ein gewaltiges Panorama im Hintergrund mit Rhein- bzw. Meerblick mag durchaus für den Machtanspruch stehen. Und das Felsen-Liebesnest für Siegfried und Brünnhilde ist hier ein geräumiger Balkon. Dank Licht und Nebel wirken weder die hochpräzise singenden, elegant mystischen Nornen, noch die auch in der Malaise immer noch schick und sexy daherkommenden Rheintöchter deplatziert. Vor allem mit Brünnhilde, aber auch mit Siegfried, meint es Nicola Reichert (Kostüme) nicht so gut. Und was die Gibichungen betrifft, so haben diese Sektflöten-Krieger mit ihren beigen Ausgehuniformen, mit Gamaschen und gezückten Pistolen in den behandschuhten Händen nun wirklich nichts Furchterregendes an sich. Ihr auf den Punkt zielender Gesang aber schon!

Das Martialische bleibt ohnehin der Musik überlassen. Samt der eigens angefertigten Stierhörner, mit denen Hagen seine Leute zusammentrommelt und mit denen man nur zu zweit Töne erzeugen kann, die jedem Tanker den Weg durch den dichtesten Nebel bahnen würden.

Unterm Strich ist es Ulf Schirmes »Ring«, denn der Chef des Hauses am Pult des Gewandhausorchesters liefert ein grandioses Finale. Das ist sinnlich und suggestiv der musikalischen Erzählung auf der Spur, groß gedacht, und manchmal ohne falsche Zurückhaltung aufgedreht. Dabei durchaus auf Überwältigung aus, aber doch so reflektiert, dass einem das (Mit-)Hören und (na ja, auch) -Sehen nie vergeht. Wunderbare Streicher, die Bläser mit vollem Einsatz inklusive Mut zum Risiko, wie das live halt so ist.

Dass sich Schirmer als Intendant nicht vom Jubiläumskalender vor sich hertreiben ließ, sondern mit langem Atem als Musikalischer Leiter diesen »Ring« und sein Ensemble ganz nach seinen Vorstellungen und der aktuellen Leistungsfähigkeit seines Hauses geschmiedet hat, zahlt sich jetzt aus. Das Ensemble wird von Thomas Mohr (als strahlender Siegfried) und Christiane Libor (als kraftvolle Brünnhilde) angeführt und überzeugt in jeder weiteren Position. Ob nun Tuomas Pursio (Gunther) und Marika Schönberg (Gutrune) oder Rúni Brattaberg (Hagen) und Kathrin Göring (Waltraute) - musikalisch und vokal herrscht Freude! Am Ende der große Untergang. Tabula rasa ohne Götter und Menschen …

Vom 5. bis 8. Mai gibt es den »Ring« in Leipzig als Zyklus ohne Pausentag

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