Ein Referendum, viele Folgen

Der Sinn-Féin-Vorsitzende Kearney zum drohenden Brexit aus irischer Sicht

  • Lesedauer: 4 Min.

Im September 2015 ist die Regierung aus Sinn Féin und Democratic Unionist Party zurückgetreten. Welche Hoffnungen hat Ihre Partei für die Wahl am Donnerstag?
Wir sind im Norden Irlands mit derselben Kampagne in die Wahl gegangen wie im Süden: gegen Austerität, für eine faire Erholung der Wirtschaft, für eine nationale Vereinigung sowie Unabhängigkeit Irlands. Sinn Féin ist im Norden die zweitgrößte Partei. Unser Ziel ist es, den Stimmanteil und die momentane Sitzzahl zu halten. Wir hoffen, uns zu verbessern. Aber wir sind bereits in einer recht starken Position und werden aus dieser weiter versuchen, ein Bollwerk gegen die britische konservative Austeritätspolitik darzustellen.

Im Norden steht nach zweimonatigen Verhandlungen eine Regierung, an der Sinn Féin nicht beteiligt ist. Bedauern Sie, dass es nun doch keine Neuwahl gibt?
Mathematisch gesehen gab es nur die Möglichkeit einer Zusammenarbeit der zwei großen konservativen Parteien Fine Gael und Fianna Fáil. Wir haben seither darauf gedrängt, dass die Scharade der sogenannten Verhandlungen beendet wird und die beiden zusammenkommen. Für Sinn Féin war die Wahl sehr erfolgreich, auch für viele kleinere linke Parteien und Bündnisse. Aber die Mehrheit der Wähler hat deutlich gemacht, dass sie eine Koalition der zwei großen Konservativen will. Der Süden braucht jetzt eine Regierung, die die wachsende politische Instabilität beendet.

Declan Kearney

Declan Kearney ist Vorsitzender von Sinn Féin und vertritt die Partei sowohl in Nordirland, das zu Großbritannien zählt, als auch in der Republik Irland im Süden. Bei den Regionalwahlen am Donnerstag ist Kearney in seiner Heimat South Antrim Kandidat für das nordirische Parlament. Über die aktuellen Entwicklungen in beiden Landesteilen sprach Katja Herzberg mit ihm am Rande eines Berlin-Besuchs auf Einladung der Rosa-Luxemburg-Stiftung.
 

Wie wichtig ist im Lichte der andauernden Wirtschaftsprobleme im Süden wie im Norden derzeit die Frage der Vereinigung Irlands?
Die Chance echten sozialen Wandels hin zu einer modernen sozialistischen Gesellschaft auf der irischen Insel hängt fundamental davon ab, ob es uns gelingt, die Teilung zu überwinden. Die Austeritätspolitik der vergangenen Jahre zeigt das sehr deutlich. Im Süden sind wir infolge des Kreditprogramms Geiseln der Gläubigerinstitutionen. Im Norden leiden die Menschen unter Maßnahmen einer feindseligen konservativen Regierung in London.

Während Sie fordern, die beiden irischen Staaten zu vereinigen, droht der Zerfall Großbritanniens infolge einen Brexits. Das könnte Ihnen doch entgegen kommen?
Sinn Féin war die erste Partei, die eine klare Position gegen den Brexit einnahm - sogar bevor der britische Premier David Cameron Stellung bezogen hat.

Warum?
Der Brexit hätte enorme negative Auswirkungen auf den Norden, aber auch den Süden Irlands in wirtschafts- und sozialpolitischer Hinsicht. Konsequenzen würden sich vor allem für den Bereich der Direktinvestitionen und des Import- bzw. Exportgeschehens ergeben. Der EU-Austritt würde die Teilung zwischen Norden und Süden verstärken. Darüber hinaus: Sinn Féin glaubt an ein demokratisches, ein soziales Europa und eines, das sich für internationalen Frieden einsetzt. Das ist nicht das Europa, das existiert. Wir denken aber, dass es besser ist, in diesem Europa zu sein und für diese Vision zu kämpfen, als dies von außerhalb zu tun.

Sinn Féin steht mit dieser Position im Vereinigten Königreich nicht allein da. Es scheint fast, als würde nur England den Brexit wollen. Was heißt das für den Zustand des Vereinigten Königreiches insgesamt?
Dieses Referendum ist Resultat ideologischer Auseinandersetzungen innerhalb der britischen konservativen Partei. Diese isolationistischen Tendenzen haben nichts mit den Bedürfnissen der Menschen zu tun, die in Schottland, Nordirland oder Wales leben. Und daher ist es nicht unwahrscheinlich, dass beim Referendum Schottland dafür stimmt, in der EU zu bleiben, genauso wie Wales und Nordirland, während eine große Zahl der Wähler in Südwestengland und London dafür sorgen könnte, dass es knapp zu einem Brexit kommt. Unserer Meinung nach dürfen die Interessen unserer Bevölkerung jedoch nicht Geisel der ideologischen Spannungen und Auseinandersetzungen innerhalb der britischen Konservativen und des englischen Nationalismus sein.

Wie will Sinn Féin im Falle des Brexit reagieren?
Wenn es zum Brexit kommt, wird dies die gesamte politische Landschaft in Großbritannien verändern. Die Scottish National Party würde dann ein erneutes Unabhängigkeitsreferendum anstrengen, das hat sie bereits angekündigt. Sinn Féin würde sich für eine »Border Poll« einsetzen, also ein Referendum, wie es in Nordirland 1973 schon einmal abgehalten wurde - zur Loslösung von Großbritannien und zur Vereinigung mit Irland.

Sehen Sie für Ihre klare proeuropäische Haltung eine Perspektive in Europa?
Internationale Solidarität ist für Sinn Féin sehr wichtig. Wir sehen ein Irland der Gleichberechtigung als Teil einer umfassenden Strategie in Richtung eines besseren Europa. Als Mitglied in der GUE/NGL-Fraktion im EU-Parlament versuchen wir daher zum Beispiel gute Beziehungen mit anderen linken Parteien in Europa aufzubauen. Wir haben im Irischen dieses Sprichwort »Ní neart go cur le chéile«, was so viel heißt wie: »Die Stärke liegt in der Einheit.« Das heißt, wir müssen neue Allianzen und eine neue Ausrichtung in der Linken in Europa finden. Und wir müssen in die Lage kommen, dass linke Parteien in Regierungen vertreten sind, wo sie auf der Basis gemeinsamer Programme zusammenarbeiten können und dann auch liefern müssen.

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