Beliebter Start in weiter Ferne

Marcel Kittel will nach bestem Karriere-Frühjahr auch beim in den Niederlanden beginnenden Giro d’Italia vorn mitfahren

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 4 Min.
In den Niederlanden beginnt am Freitag der diesjährige Giro d’Italia. Das Land ist beliebt als Startort großer Radrennen. Doch in der Bevölkerung gibt es Widerstand gegen das teure Vergnügen.

Im globalen Sportgeschäft geht die Geografie verloren. Die Niederlande etwa werden auch ohne eine eigene dreiwöchige Rundfahrt zum Grand Tour-Land. Im letzten Jahr begann in Utrecht die Tour de France. Am Freitag ist Apeldoorn Startort für den 99. Giro d’Italia. Nach 2002 in Groningen und 2010 in Amsterdam ist das schon der dritte Start dieses Rennens bei den Oranjes, gar sechs niederländische Startorte hatte die Tour. Kurioserweise begann auch die am weitesten entfernte Rundfahrt, die Vuelta a Espana, schon einmal hier.

Die Niederlande sind als Startland also schwer beliebt. Das liegt zum einen an der ausgeprägten Liebe zum Fahrrad. Hunderttausende Oranjes am Straßenrand geben bei Radrennen immer eine prächtige Kulisse ab - nicht unwichtig im globalen Mediengeschäft. Zum anderen sind Städte und Regionen, bei denen der Radverkehr eine große Rolle spielt, eher geneigt, zweistellige Millionenbeträge in die Hand zu nehmen, um den Muskel getriebenen Zweiradzirkus zu beherbergen. 15,4 Millionen Euro ließen sich im letzten Jahr die holländischen Etappenorte den Grand Depart kosten. 12,85 Millionen Euro werden jetzt auf den Tisch gelegt.

Nicht jedem gefällt das. Die Lokalmedien zitieren Bürger aus Apeldoorn und Umgebung, die das viele Geld lieber an anderer Stelle eingesetzt sähen. Die regionale TV- und Radiostation Omroep Gelderland sieht den Giro gar als »Vergnügen der Mittelklasse«, das auf Kosten der Allgemeinheit gehe. Als Beschwichtigung für die ärmeren Teile der Bevölkerung eröffnete am Startort Apeldoorn ein Kinderfahrradladen, in dem die Zweiräder nicht verkauft, sondern verschenkt werden. Sie stammen aus Spenden. »Apeldoorn ist zwar eine Velostadt. Aber es gibt Kinder, die sich keines leisten können«, begründete Stadtrat Paul Blokhuis die Initiative. Der Giro soll niemanden unbeglückt lassen. Man mag den Kinderfahrradladen für ein Trostpflaster halten. Seine Eröffnung signalisiert aber, dass Krisenstimmung auch in den Niederlanden angekommen ist. »Brot & Spiele« ist kein Selbstläufer mehr; sogar die Spiele sind nur machbar, wenn zu ihnen auch etwas Brot gereicht wird.

Dass Apeldoorn und die Provinz Gelderland so scharf auf den Girostart waren, hat auch mit einem Prestigedefizit zu tun. Im Gegensatz zu anderen niederländischen Provinzen endete noch keine Etappe einer Grand Tour hier. Nur einen Start gab es, 2009 in Zutphen für die Vuelta, die kleinste der drei großen Landesrundfahrten. Mit jetzt drei kompletten Etappen ist der Anschluss hergestellt.

Besondere Freude löst der Auftakt in Apeldoorn natürlich bei Tom Dumoulin aus. Der Giant Alpecin-Profi stammt aus den Niederlanden, und er ist Zeitfahrspezialist. »Der Girostart in meiner Heimat ist großartig. Ich erinnere mich noch gut an die Begeisterung im letzten Jahr in Utrecht. Hier beim Giro sind vor allem der Prolog und das Zeitfahren der 9. Etappe meine großen Ziele«, meinte er.

Dumoulin will in Apeldoorn den Sieg holen, den er eigentlich schon für Utrecht anvisiert hatte. Größter Gegenspieler dürfte Fabian Cancellara sein. Der Schweizer hat sich in seiner letzten Saison noch einmal in ein Motivationshoch bugsiert. Ein rosa Trikot vom Giro fehlt ihm noch in seiner umfangreichen Trophäensammlung. Ein gutes Omen für ihn ist, dass er den bislang einzigen Gelderland-Ausflug einer Grand Tour im Führungstrikot absolvierte. Bei der Vuelta 2009 hatte er zuvor den Prolog gewonnen.

Eine gute Ausgangsposition beim Prolog will sich der einstige Zeitfahrspezialist und aktuelle Top-Sprinter Marcel Kittel erobern. Der Thüringer geht mit viel Selbstvertrauen ins Rennen. Als »bestes Frühjahr meiner Karriere« bezeichnete er den Saisonanfang mit Etappensiegen bei der Dubai Tour, der Algarverundfahrt und in der Romandie sowie dem Gewinn des Halbklassikers Scheldeprijs. Nach seiner Seuchensaison 2015 ist Kittel wieder auf alten Leistungshöhen - und wird sich dort vor allem mit dem zweiten deutschen Muskelpaket André Greipel auseinanderzusetzen haben. Der fuhr sich im letzten Jahr - in Abwesenheit Kittels - auf die Position des weltbesten Sprinters. Auf den fünf Giro-Flachetappen haben sie Gelegenheit, die Hierarchie für diese Saison herauszufahren. Das wird eine Hauptattraktion dieses 3463,1 km langen Giro d’Italia.

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