Lesen gegen das Vergessen

Die Lesung auf dem Bebelplatz soll ein Zeichen gegen Hass und Kulturlosigkeit setzen

  • Johanna Treblin
  • Lesedauer: 4 Min.
Mit Gesine Lötzsch (LINKE) sprach für »nd« Johanna Treblin über das »Lesen gegen das Vergessen«, mit dem die LINKE seit Jahrzehnten an jedem 10. Mai an die Bücherverbrennung durch die Nazis erinnert.

Am 10. Mai jährt sich die Bücherverbrennung auf dem Bebelplatz zum 83. Mal. Die LINKE lädt auch in diesem Jahr zum »Lesen gegen das Vergessen« ein. Woraus lesen Sie vor?

Ich moderiere die Veranstaltung, aber ich habe tatsächlich auch selbst zwei Texte dabei. Der erste ist einer, den ich schon mehrmals vorgelesen habe, und der immer aktueller wird. Das ist ein Fragment von Anna Seghers und heißt »Reise ins 11. Reich«. Da wird beschrieben, wie schwierig es für Menschen ist, die fliehen müssen, ein Land zu finden, das sie aufnimmt, und eine Unterkunft. Diese »Reise ins 11. Reich« beeindruckt besonders, weil alles umgekehrt ist als im wirklichen Leben. Beispielsweise haben Leute, die einen Pass haben, schlechtere Chancen als Leute ohne Pass.

Zur Flüchtlingsdebatte gehört auch, dass die AfD in den Umfragen immer mehr Zustimmung erhält. In Berlin steht sie derzeit bei 13 Prozent. Sehen Sie Ihre Veranstaltung in diesem Klima als besonders notwendig?

Ja, selbstverständlich. Wir wollen mit unserer Lesung auch ein Zeichen gegen Hass und Kulturlosigkeit setzen. Diese Kulturlosigkeit, die von der AfD verkörpert wird, die gibt es nicht nur auf den Straßen, sondern auch in den Parlamenten. Insbesondere bei der Großen Koalition von CDU und SPD hat man den Eindruck, dass sie sich in ihren Beschlüssen von der AfD treiben lässt. Wir wollen mit der Lesung auch Respekt für Menschen und Menschenleben zum Ausdruck bringen.

Sie wollen noch einen zweiten Text lesen...

Bis 2014 war bei jeder Lesung als einzige noch lebende Zeitzeugin die Schriftstellerin Elfriede Brüning dabei. Inzwischen ist sie im Alter von 103 Jahren verstorben. Sie war Mitglied des Bundes Proletarischer Schriftstellerinnen und Schriftsteller, der in der Auseinandersetzung mit dem Faschismus eine große Rolle gespielt hat. Ich werde einen ihrer Texte vortragen.

Das ist schön, so halten Sie ihr Erbe weiter aufrecht. Wer ist noch bei der Lesung dabei?

Seit vielen Jahren kommt Beate Klarsfeld, die wir für das Amt der Bundespräsidentin vorgeschlagen hatten. Ich finde es sehr bewundernswert, wie sie mit ihren 77 Jahren immer noch dem Anliegen der Aufklärung und natürlich auch der Gerechtigkeit für die Opfer des Faschismus ihr Leben widmet. Sie hat jetzt ihre Biografie veröffentlicht, und wir nutzen ihren Besuch in Berlin auch, um mit ihr in mehrere Schulklassen zu gehen. Sehr beeindruckend fand ich, als sie einmal ein Buch mitbrachte, das vor 83 Jahren auch verbrannt werden sollte, aber dann mit ein paar Brandflecken davon kam. Das war natürlich auch ein besonderes Erlebnis.

Außer Ihnen lesen weitere Linkspolitiker, darunter Gregor Gysi. Eingeladen sind auch die Schriftstellerin Jenny Erpenbeck und die Spoken-Word-Künstlerin Jessy James Lafleur. Hoffen Sie, dadurch mehr jüngere Leute zur Veranstaltung zu locken?

Die Lesung hat zum einen ein großes Stammpublikum, und zum anderen haben wir durch diesen prominenten Ort - den Bebelplatz - auch viel Laufpublikum. Es werden Studentinnen und Studenten ganz automatisch über den Platz gehen, weil gegenüber das Hauptgebäude der Humboldt Universität liegt und am Rande des Bebelplatzes mehrere Fakultäten. Außerdem kommen viele Berlinbesucher auf den Platz, schauen sich diese versunkene Bibliothek - also das Mahnmal - an. Dabei kann man immer gut ins Gespräch kommen.

Der Gedenkort befindet sich unter einer im Boden eingelassenen Platte, zu sehen sind leere Bücherregale. Wird dieser Gedenkort als solcher wahrgenommen?

Der wird absolut wahrgenommen. Ich war gestern auf dem Platz, um mir die Situation mit der Staatsopernbaustelle anzuschauen. Touristen und Schülergruppen gehen gezielt zu diesem Gedenkort hin. Auf dem Bebelplatz selbst sind an verschiedenen Stellen außerdem Tafeln mit dem Heinrich-Heine-Zitat eingelassen: »Das war ein Vorspiel nur. Dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen«.

Das hat sich dann ja bewahrheitet. Somit steht der 10. Mai 1933 in engem Zusammenhang mit dem 8. Mai 1945. Wir haben Ende April erneut einen Antrag in den Bundestag eingebracht, den 8. Mai als Tag der Befreiung zum nationalen Gedenktag zu erheben. Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Thüringen haben das bereits umgesetzt. Leider hat die Große Koalition den Antrag abgelehnt, die Grünen haben sich enthalten. Aber wir bleiben dran.

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