Schuld und Schulden

Tom Strohschneider über Griechenland und die interessegeleitete Moralisierung des Ökonomischen

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Zukunft Griechenlands sieht in der Welt der Gläubiger ziemlich handlich aus - sie wird von »den Institutionen« gern in eine einzige Zahl gepresst: die Staatsschuldenquote. Die Ziffer ist so etwas wie der Heilige Gral der Krisenpolitik.

Im Falle Griechenland sieht es um ihn, nun ja: schlecht bestellt aus. Ende vergangenen Jahres lag die Schuldenquote bei fast 177 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Angeblich waren die Bemühungen der Gläubiger immer darauf gerichtet, diese Quote zu drücken. Da wurde dann auch gern darüber hinweggesehen, dass in dieser Ziffer praktisch alles andere untergeht: Die Menschen tauchen darin nicht auf, die von den Kürzungen betroffen sind; die Profiteure des mutwillig in Gang gehaltenen Schuldenkreislaufes bleiben unsichtbar; gleiches gilt für die ökonomische und demokratische Kritik an einem Regime, dem das Starren auf die Staatsschuldenquote zu einer wichtigen Stütze geworden ist.

Als am Montag die Euro-Finanzminister zusammensaßen, lag auch eine Art Geheimpapier vor, das von der Zukunft Griechenlands handelt - wie die Gläubiger sie sehen. Darin wurde prognostiziert, wie sich die Schuldenquote Griechenlands bis ins Jahr 2060 entwickelt, wenn sich das deutsche Austeritätsregime mit seinem Kapellmeister Schäuble durchsetzt, es also nicht zu Schuldenerleichterungen kommt, geschweige denn zu einem Schuldenschnitt, den Berlin fürchtet, weil darin das offene Eingeständnis liegen würde, dass die bisherige Krisenpolitik falsch war.

Ohne Erleichterungen - man kann an der Zinsschraube drehen, man kann die Laufzeit verlängern, man kann umschulden - würde Griechenland bis 2060 im günstigsten Fall eine Schuldenquote von 62,8 Prozent aufweisen. Das ist einerseits immer noch mehr als die (von kaum einem europäischen Land gehaltene) Obergrenze des öffentlichen Schuldenstandes, die laut Maastricht-Kriterien bei 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegt. Und das ist andererseits Hokuspokus, etwas, mit dem die Politiker ihren Wählern einreden können, ihre Krisenpolitik, von der offenkundig ist, welche Folgen sie hat, könnte doch irgendwann irgendwie positiv wirken.

Allerdings stand in dem Geheimpapier auch eine andere Zahl, eine, die im Lichte der Krisenpolitik der vergangenen Jahre die realistischere Prognose ist: Ohne Erleichterungen für Griechenland bei den Verbindlichkeiten könnte die Schuldenquote auf 258,3 Prozent steigen. Der bisher verfolgte, mit Drohungen und Erpressung gegenüber Athen durchgesetzte Kurs ist also nicht nur nicht wirksam - er macht alles noch schlimmer. Und dennoch ist die Ansicht verbreitet, Hellas habe nun einmal über seine Verhältnisse gelebt, und wer Kredite aufnimmt, der muss die eben zurückzahlen. Basta.

Darin steckt eine Moralisierung des Ökonomischen, die es der Politik überhaupt erst ermöglicht, sich gegenüber gewählten Regierungen als Vormund zu gerieren. Die Verweigerung eines Schuldenschnitts erzwingt Maßnahmen von der SYRIZA-geführten Regierung, für die diese demokratisch nicht legitimiert ist. Das wird von »marktkonformen Demokraten« sicher als lässlicher Kollateralschaden betrachtet - ist aber im Kern das entscheidende Problem an der »Griechenland-Krise«, die in Wahrheit eine Krise der Krisenpolitik ist. Eine gewollte zudem. Mit dem ersten »Hilfspaket« von 2010 wurden aus den Schulden privater Gläubiger Verbindlichkeiten der öffentlichen Hand gemacht. Private Spekulationsrisiken wurden sozialisiert, obendrauf kamen Austeritätsprogramme mit verheerenden Folgen.

All das wurde stets mit dem Hinweis auf die (moralische) Schuld befeuert, die man an seinen (ökonomischen) Schulden hat. Der Bestsellerautor David Graeber hat darauf hingewiesen, dass eine solche Instrumentalisierung von Schulden logischerweise ihre andere, umgekehrte Seite hat: Aus ebenso moralischen Gründen müsste dann auch ein radikaler Schuldenschnitt möglich sein. Wären nicht ökonomische Krise und massenhafte Armut in dem EU-Land hinreichender Anlass? Zumal dies (auch) Folgen der Schuldenpolitik der Gläubiger sind, diese also ihrerseits »Schuld haben«?

»Aber wir haben den Griechen schon so viel geholfen«, ruft an dieser Stelle immer irgendeiner wie auf Bestellung. Nein, haben »wir« nicht. Wirksame, echte Hilfe wäre es, wenn ein deutscher Finanzminister sich für eine europäische Schuldenkonferenz und drastische Erleichterungen bei den griechischen Verbindlichkeiten einsetzen würde. Ein solcher ist nicht in Sicht. Wer daran Schuld hat, ist noch einmal eine ganz andere Frage.

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