Erstaunliche Wallügen

Ingolf Bossenz über zwei Ansichten einer Kultur des Todes

  • Ingolf Bossenz
  • Lesedauer: 1 Min.

Sein Leben sei »ein anhaltendes Erstaunen« gewesen, antwortete (laut Goethe) Plato auf die Frage, wie er in dieser Welt gelebt habe. Wahrlich, auch bei den scheinbar kleinen Meldungen in den informationellen Sturzfluten kann man das Staunen täglich neu lernen. So bei dieser, überschrieben mit »Japans Walfänger stechen wieder in See«. Da werden intelligente, soziale, leidensfähige Säugetiere mit Sprengstoffharpunen Jahr für Jahr zu Hunderten massakriert. Doch ungeachtet des gnadenlos-menschlichen Treibens auf den Meeren der Welt ist immer noch hartnäckig und unbeirrt von »Fängern« und »Fang« die Rede. Keine einzige der unglückseligen Kreaturen wird in irgendeiner Weise »gefangen«. Ausnahmslos alle werden grausam abgeschlachtet, vorgeblich zu »wissenschaftlichen« Zwecken. Die verhüllend-verharmlosende Form der Mitteilung hat ihren Zweck. Sie soll, wenigstens notdürftig, das Versagen der »internationalen Staatengemeinschaft« camouflieren.

Andererseits: Die Japaner an den Pranger zu stellen, ist angesichts von Tierqual und -elend zwar recht, angesichts der in den entwickelten Ländern ausgeprägten Schlachthauskultur aber auch billig. Es sind zwei Ansichten einer Kultur des Todes, deren revolutionäre Beseitigung bisweilen pathetisch beschworen wird, die es aber nie geschafft hat, zu einer Idee zu werden, die die Massen ergreift. Staunen hilft da vielleicht gegen Gleichgültigkeit.

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