Staatspräsident Erdogan ordnet seine politische Landschaft neu

Türkische Regierungspartei AKP präsentiert ihren Kandidaten für die Nachfolge von Premier Davutoglu

  • Jan Keetman
  • Lesedauer: 4 Min.
Nach dem Rückzug von Davutoglu soll Verkehrsminister Yildirim Chef von AKP und Regierung werden. Der AKP-Vorstand nominierte ihn am Donnerstag als einzigen Kandidaten für den Parteitag am Sonntag.

Keine sieben Monate nach ihrem triumphalen Wahlsieg vom 1. Novem-ber wechselt die regierende Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung (AKP) ihren Vorsitzenden und damit auch den Ministerpräsidenten der Türkei aus. Der Parteikongress wird am Sonntag hinter für die Medien verschlossenen Türen stattfinden. Es wird nur einen Kandidaten für die Nachfolge von Ahmet Davutoglu geben, den bisherigen Minister für Verkehr, Schifffahrt und Kommunikation, Binali Yildirim.

Einziges herausstechendes Merkmal des Kandidaten ist seine besondere Ergebenheit gegenüber Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan. Yildirim spielte auch bei der Entmachtung seines etwas zu selbstständig aufgetretenen Vorgängers Davutoglu eine besondere Rolle.

Bezeichnend ist auch die Art, wie der einzige Kandidat ermittelt wurde. Zunächst wurde eine Befragung bei Abgeordneten und Kreisfunktionären durchgeführt. Wer hatte das beschlossen? Wer kontrollierte die Umfrageergebnisse? Warum überhaupt eine Umfrage und keine Abstimmung? In der AKP scheinen derlei Fragen niemanden zu bewegen.

Die Vermutung liegt nahe, dass das Verfahren vor allem dazu dient zu verschleiern, dass sich der Staatspräsident seinen Parteichef und Ministerpräsidenten aussucht bzw. dass ihm die Ergebnisse der Befragung vor einer Veröffentlichung erst vorgelegt werden mussten. Cagatay Kilic, ehemaliger Minister für Jugend und Sport und lange Zeit einer der Vertrauten Erdogans, sagte dazu, der Präsident gebe keine Signale, fügte dann jedoch hinzu: »Aber wir verstehen, was er will.«

Ähnlich war bereits der scheidende Parteichef Davutoglu gekürt worden. Damals hatte sich Erdogan, das ist heute bekannt, unter drei Anwärtern denjenigen mit der niedrigsten Zustimmung ausgesucht. Das ist sehr praktisch, weil man dann weiß, dass der Mann, wenn man ihn wieder los sein möchte, in der Partei wenig Unterstützung hat. So jüngst mit Davutoglu geschehen. Mit parteiinterner Demokratie hat das nichts zu tun. Doch auch danach fragt niemand.

Apropos Davutoglu: Nach einer kurzen Phase des Jammerns und Klagens, immer verbunden mit der Versicherung, dass er die Harmonie auf dem Kongress nicht stören werde, scheint sich der Geschasste mit seinem Schicksal nach Außen abgefunden zu haben. Ohnehin hatte man ihm seine öffentlichen Auftritte plötzlich zusammengestrichen. Schließlich durfte er noch einen Staatsbesuch in Bosnien machen, allerdings erstmals nicht mit seinem Dienstflugzeug. Damit flog nämlich der Parlamentspräsident. Und als dann Davutoglu am Dienstag zur Abstimmung ins Parlament kam, setzte er sich schon gar nicht mehr auf die Regierungsbank, sondern unter die Abgeordneten.

Es gibt noch mehr ehemalige Größen in der Partei, die von Erdogan zurechtgestutzt wurden, hier und da kurzfristig rebellierten, um dann , als es nichts half, alles wieder schön zu reden, zum Beispiel der ehemalige Präsident Abdullah Gül und der ehemalige Vize-Premier Bülent Arinc.

Arinc war einst ein mächtiger Mann in der Partei. Es war vor allem er, der verhinderte, dass die USA im Irakkrieg 2003 eine Nordfront von der Türkei aus eröffnen konnten. Es sah einen Moment so aus, als könnten Gül und Arinc Davutoglu gegen Erdogan den Rücken stärken. Doch wenn das je eine Option war, so ist sie rasch zusammengebrochen. Sicherheitshalber ist man wohl auch über Arincs Terminplan gegangen. Eine Universität, an der er diese Woche sprechen sollte, sagte die Veranstaltung kurzerhand wegen »möglicher Provokationen« ab. Die Universitäten unterstehen dem Hochschulrat und dieser Erdogan. Ob es einen Hinweis gab oder nur wieder »jemand etwas verstanden hat«, ist nicht bekannt.

Inhaltlich wird es der Partei vor allem um die Ausdehnung der Befugnisse des Präsidenten gehen. Nebenher werden aber in den Kulissen einige mögliche Entwicklungen angesprochen: zum Beispiel Neuwahlen, wenn klar sein sollte, dass die Kurden wieder unter die Zehn-Prozent- Hürde und damit aus dem Parlament fallen und die Partei der Nationalistischen Bewegung sich durch Spaltung schwächt. Andere Fragen, etwa wie es im Kurdenkonflikt weitergehen soll, ob die Türkei in Syrien interveniert oder welche Rolle die Religion in der neuen Verfassung spielen soll, werden in der Partei nicht diskutiert.

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