Gepfefferte Vizepräsidentin

Harter Polizeieinsatz bei Demo gegen rechtsextremen «Freundeskreis» in Göttingen

  • Hagen Jung
  • Lesedauer: 3 Min.
Bei einem Polizeieinsatz in Göttingen ist Niedersachsens Landtags-Vizepräsidentin Gabriele Andretta (SPD) durch Pfefferspray verletzt worden. Sie hatte an einer Demo gegen Nazis teilgenommen.

Brutales Handeln seitens der Polizei in Göttingen hatte vor gut vier Jahren Schlagzeilen gemacht. Demonstranten, die in der Universität einen Vortrag des damaligen Innenministers Uwe Schünemann (CDU) störten, waren von Polizisten geschlagen, getreten, gestoßen und in Würgegriffe genommen worden. Mehrere Protestierer wurden verletzt. An diesen unrühmlichen Einsatz fühlten sich Antifaschisten womöglich erinnert, als die Polizei wieder in Göttingen gegen Demonstranten vorgingen - und wieder mit Härte. Nicht so brutal wie damals aber gleichfalls sehr schmerzhaft.

Erfahren musste das auch Niedersachsens Landtagsvizepräsidentin Gabriele Andretta (SPD), die in den Reihen eines Bündnisses gegen Rechts ihren Unmut über den Auftritt der rechtsextremen Gruppierung «Freundeskreis Thüringen / Niedersachsen» in der Universitätsstadt kundtat. Vermutlich war es Pfefferspray aus der Reizgasdose eines Polizisten, der die Politikerin traf. Allerdings sollen auch Demonstranten mit Pfefferspray hantiert haben. Andretta musste sich in einer Augenklinik behandeln lassen.

Rund 500 Menschen hatten sich am Samstag am Göttinger Hauptbahnhof versammelt. Zum Protest gegen die «Mahnwache des obskuren Freundeskreises, den die Polizei von den Demonstranten trennen wollte: durch eine Absperrung. Diese hätten Protestler schon vor dem Erscheinen der Rechtsextremen durchbrechen wollen, rechtfertigte die Polizei in einer ersten Stellungnahme ihr Vorgehen. Polizisten seien angegriffen, einer von ihnen verletzt worden.

Die Verletzung der stellvertretenden Landtagspräsidentin bewog sodann am Montag Göttingens Polizeipräsidenten Uwe Lührig zu einer Erklärung: Die Einsatzsituation werde »umfangreich nachbereitet«, verspricht er. Nach derzeitigem Stand sei die Abgeordnete »im Rahmen eines Pfeffersprayeinsatzes der Polizeikräfte« unbeabsichtigt verletzt worden, als sie schlichtend eingreifen wollte. Die Rechtmäßigkeit des polizeilichen Vorgehens werde überprüft.

Auch den Vorwurf der Grünen Jugend, eines ihrer Mitglieder sei während des Einsatzes vom »gezielten, nicht gerechtfertigten Schlag« eines Polizisten getroffen worden, nehme er ernst, betont Lührig. Hierzu habe das für Amtsdelikte zuständige Fachkommissariat in Absprache mit der Staatsanwaltschaft Ermittlungen eingeleitet.

Unnötig, maßlos und ungesteuert sei der Einsatz gewesen, kritisiert der Vorsitzende des SPD-Stadtverbandes, Christoph Lehmann, das polizeiliche Vorgehen. Nur weil ein paar Antifaschisten auf den Bahnhofsvorplatz laufen, müsse nicht zum Reizgas gegriffen werden. Auch seien »die Drohungen der Einsatzleitung« gegen die Demonstranten »in Wort und Ton verfehlt« gewesen. Die Göttinger SPD werde sich auch künftig gegen Nazis engagieren, kündigte Lehmann an.

Gefragt, wie sie auf das Geschehen reagieren wolle, erklärte Gabriele Andretta gegenüber »nd«, sie stehe in Kontakt mit dem niedersächsischen Innenminister Boris Pistorius (SPD). Er werde sie über das Ergebnis der Ermittlungen informieren.

Pistorius hatte Mitte Januar im Landtag ausgeführt, wie der Verfassungsschutz den »Freundeskreis Thüringen/NIedersachsen« einschätzt. Bekannt sei dessen Agitation gegen Flüchtlinge und Asylbewerberunterkünfte »unter dem Deckmantel einer angebliche Bürgerbewegung«. Nationalistische, tendenziell völkisch geprägte Slogans gehörten zum Agieren des Freundeskreises, an dessen Veranstaltungen nach Erkenntnis des Nachrichtendienstes auch Angehörige der Neonaziszene Niedersachsens teilgenommen haben.

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