Bürgerkrieg und Sozialismus

»Madgermanes« erzählt die Geschichte von DDR-Vertragsarbeitern aus Mosambik

  • Waldemar Kesler
  • Lesedauer: 4 Min.

Rund 20 000 Mosambikaner waren seit 1979 als Vertragsarbeiter im Zuge eines Staatsvertrages in die DDR gekommen. Sie wurden nach der Wende von der Bundesrepublik ausgewiesen. Als sich seit 1990 die fremdenfeindlichen Übergriffe in Deutschland häuften, kehrten immer mehr freiwillig in ihr Geburtsland zurück und mussten erkennen, dass sie dort keine finanzielle Rücklage hatten: Sechzig Prozent ihres Lohns aus der DDR waren in Mosambik in den Taschen korrupter Funktionäre versickert. Sie waren nach der jahrelangen Abwesenheit in ihrer Heimat Fremde geworden. Im mosambikanischen Dialekt bezeichnet »Madgermanes« die aus Deutschland Zurückgekehrten. Ein Wort, das wie »verrückte Deutsche« oder »Made in Germany« klingt.

Die Madgermanes repräsentieren ein vergessenes Kapital der DDR-Geschichte. Die in Hamburg lebende Zeichnerin Birgit Weyhe hat in Deutschland und in Mosambik Interviews mit ihnen geführt. Die ausstehenden Gelder sind dort noch immer ein Thema. Regelmäßig protestieren Madgermanes mit DDR-Fahnen trommelnd in den Straßen, um entschädigt zu werden. Ihre Geschichte zeigt, wie unter dem Etikett internationaler Solidarität Menschen als Hilfsarbeiter verheizt wurden.

Die Erlebnisse von drei fiktionalen Figuren fassen die Interviews zusammen: Basilio, José und Anabella erleben ihre Zeit in Deutschland zwar unterschiedlich, sie sehen ihre Hoffnungen aber gemeinsam scheitern. Mosambik war eine portugiesische Kolonie gewesen. Viele der Madgermanes wollten in der DDR einen Beruf erlernen, um damit später ein unabhängiges Mosambik aufbauen zu können. Diese Vorstellung erwies sich sehr bald als naiv. Sie wurden beliebig als Hilfsarbeiter eingesetzt. In ihrem Wohnheim galt ab 17 Uhr eine Ausgangssperre. Wenn sie versuchten, im Ort ein Bier zu trinken, bekamen sie die Vorurteile der Ortsansässigen zu spüren.

Birgit Wehye hat ein gutes Gespür für Situationskomik, selbst wenn sie Rassismus thematisiert. Als die Madgermanes grundlos aus einer Kneipe rausgeworfen werden, nimmt Basilio es den bornierten Deutschen nicht krumm und versucht, die Kneipenhocker, die auf der ostdeutschen Platte leben, mit einem heimischen Sinnspruch zu belehren: »Der Leopard leckt alle seine Flecken - schwarze wie weiße!«

Es geht in »Madgermanes« aber nicht in erster Linie um Ausgrenzung. José baut sich in der DDR ein Leben auf, auch indem er sich mit Kulturarbeit politisch engagiert. Er ist ein Beispiel dafür, wie Menschen mit Entwurzelung und Heimatlosigkeit umgehen. Seine unglückliche Liebesgeschichte zu Anabella zeigt aber, dass die ideologischen Fronten aus dem Bürgerkriegsland unter den Madgermanes in der DDR unterschwellig weiter existieren.

Als die Fremdenfeindlichkeit nach der Wende enorm ansteigt, verlässt José Deutschland wieder. Mosambik ist vom Bürgerkrieg völlig zerstört. José erfährt, dass er sich mit seiner Integration als DDR-Bürger vom Leben in seinem Heimatland völlig entfremdet hat. Noch Jahre nachdem er die DDR verließ, trifft er sich mit anderen ehemaligen Vertragsarbeitern, um wieder Deutsch zu sprechen.

Wie schon in ihren vorherigen Bänden »Reigen« und »Im Himmel ist Jahrmarkt« lässt Birgit Wehye in »Madgermanes« immer wieder assoziative oder abstrakte Bilder in die Erzählung einfließen, die im aktuellen Band der afrikanischen Bildsprache entlehnt sind. Sie arbeitet an manchen Stellen mit zwei Bildebenen, etwa wenn wir die Madgermanes in der DDR ankommen sehen und sie vor einem weißen Hintergrund stehen, auf dem afrikanische Figuren auftauchen, die die Figur zu bedrängen scheinen. Ihre kulturelle Identität ist in der Fremde nämlich belastend.

In ihrem Buch erklärt Birgit Wehye eingangs, woher ihre Tendenz zu solchen Assoziationen kommt: Sie hat diese Wahrnehmung während ihrer Kindheit in Uganda und Kenia entwickelt. Birgit Wehye erzählt die Geschichte von Menschen, die zwischen den Kontinenten leben, nun von der anderen Seite.

Farblich ist der Band in Schwarzweiß und einem Ockerton gehalten. Dem SWR berichtete Wehye, dass sie vermeiden wollte, dunkelhäutige Menschen als »Blackface«-Karikaturen erscheinen zu lassen. Sie drehte den Spieß also um, indem sie nur die afrikanischen Protagonisten mit dem warmen Ton ausstattete. Im Kontrast dazu sehen die weißen Deutschen aus, als ob ihnen etwas fehlen würde.

Für »Madgermanes« erhielt Birgit Weyhe 2015 den erstmals verliehenen Comicbuchpreis der Berthold Leibinger Stiftung. Die Auszeichnung wird an einen noch unveröffentlichten literarischen Comic eines deutschsprachigen Zeichners verliehen. »Madgermanes« war als Debüt für diesen Preis eine glückliche Wahl.

Birgit Weyhe: Madgermanes. avant-Verlag, 236 S., 24,95 €. Buchvorstellung und Diskussion mit der Autorin, einem ehemaligen Gastarbeiter und Almuth Berger, ehemalige Ausländerbeauftragte der DDR: 31. Mai, 17 Uhr, Haus der Demokratie und Menschenrechte, Greifswalder Straße 4a, Prenzlauer Berg.

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