Die Zombies wählten mit

In Haiti wird der vergangene Urnengang zu den Präsidentenwahlen wegen massiver Unregelmäßigkeiten annulliert

  • Hans-Ulrich Dillmann,
Santo Domingo
  • Lesedauer: 3 Min.
Nach Monaten des politischen Stillstands in Haiti hat eine unabhängige Kommission die Annullierung der von Manipulationsvorwürfen überschatteten Präsidentenwahl im vergangenen Jahr vorgeschlagen.

Die Präsidentschaftswahl in Haiti im Oktober des Vorjahres wird annulliert. Bei der genauen Überprüfung eines Viertels der Stimmbezirke seien gravierende Manipulationen festgestellt worden, teilte der Vorsitzende des Provisorischen Wahlrates (CEP), Francois Benoit, bei der öffentlichen Präsentierung des Untersuchungsberichts in Port-au-Prince mit. Bei der Abstimmung im Oktober 2015 seien unter anderem in einigen Wahlurnen mehr Stimmzettel deponiert gewesen als Wahlberechtigte, gefälschte Ausweise seien vorgelegt worden, Tote hätten gewählt. »Es gab Zombie-Stimmen«, sagte Benoit.

Außerdem sei es bereits im Vorfeld bei der Nominierung der Kandidaten zu Unregelmäßigkeiten gekommen, heißt es in dem 105 Seiten umfassenden Bericht des CEP. Möglichweise soll auch die Senatswahl annulliert werden. Ein genaues Datum für die Wiederholung der Präsidentschaftswahl wurde nicht genannt. Politische Beobachter in der haitianischen Hauptstadt gehen davon aus, dass im Oktober Neuwahlen im ärmsten Land Amerikas stattfinden. Interimspräsident Jocelerme Privert sagte schon im April, dass die Wahlen unter Umständen erst am 30. Oktober parallel zu Wahlen zum Senat abgehalten werden, weil sich das Land zwei Wahltermine aus finanziellen Gründen sparen sollte.

Ein Teil der Manipulationen hätten nicht erst in den Wahllokalen begonnen, erklärte Benoit, sondern schon davor stattgefunden. Zehntausende von Akkreditierungsausweisen seien an Wahlhelfer und -beobachter verteilt worden. Diese hätten die Inhaber berechtigt, in jedem beliebigen Wahllokal ihre Stimme abzugeben. Außerdem hätten unter anderem beim Erdbeben im Januar 2010 Verstorbene im Wählerverzeichnis gestanden und wählen können. »Es gab einen regelrechten Handel mit Stimmkarten und -ausweisen«, stellten die Prüfer fest.

Erstplatzierter war mit 32,8 Prozent Jovenel Moïse, der für die vom amtierenden Staatschef Martelly gegründeten Parti Tèt Kale kandidierte. An zweiter Stelle war Jude Célestin von der Alternativen Liga für Fortschritt und Emanzipation mit 25,3 Prozent. Von den 5,8 Millionen Wahlberechtigten hätten nur gut 1,5 Millionen ihre Stimme abgeben. Bereits unmittelbar nach der Veröffentlichung des Auszählungsergebnisses hatte der Zweitplatzierte Célestin Betrugsvorwürfe erhoben und eine Wahlwiederholung gefordert. Mehrmals musste deshalb die Stichwahl verschoben werden.

Im Februar schied dann Staatspräsident Michel Martelly, der für die Wahlmanipulationen verantwortlich gemacht wird, aus dem Amt, ohne dass ein Nachfolger ordnungsgemäß gewählt worden war. Interimspräsident Privert ist zugleich Vorsitzender des Senats. Er war unter dem 2004 gestürzten Staatschef Jean-Bertrand Aristide rund drei Jahre zuerst Wirtschaft- und Finanz-, später Innenminister. »Die politische Stabilität Haitis ist nur dann zu gewährleisten, wenn die Glaubwürdigkeit in den Wahlprozess wieder hergestellt wird«, hatte Privert die Überprüfung der Oktober-Wahlen begründet.

Das Ergebnis der Wahlrevision ist eine schwere Niederlage für Martelly, dem zudem Korruption und Vorteilsnahme vorgeworfen wird. Es ist aber vor allem eine schallende Ohrfeige für die USA und die Vereinten Nationen, die mit eigenen Beobachtern zugegen war und mit über 10 000 Blauhelmsoldaten und -polizisten seit 2004 die Sicherheit im Land garantieren soll. Sie hatten bis zuletzt eine Überprüfung des Stimmergebnisses mit der Begründung abgelehnt, es gebe keine Belege für Manipulationen. Und die Durchführung des zweiten Wahlgangs gefordert. Wohl nicht zuletzt aufgrund der Kosten. Rund 80 Millionen US-Dollar hatten die ausländischen Geldgeber für die Wahlen zur Verfügung gestellt. Davon sind bereits knapp drei Viertel ausgeben.

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