nd-aktuell.de / 04.06.2016 / Kultur / Seite 20

Strippenzieher gegen Dilma Rousseff

Der brasilianische Senator Romero Jucá war als Planungsminister der Übergangsregierung vorgesehen. Er repräsentiert wie kaum ein anderer die korrupte politische Klasse des Landes. Von Thilo F. Papacek

Thilo F. Papacek

Das ist die Abmachung, wir setzen Michel (Interimspräsident Michel Temer - d. Red.) ein, das ist der große nationale Zusammenschluss«, sagt eine Stimme. Eine andere antwortet »Genau. Damit begrenzen wir alles, da wo es jetzt ist, und fertig. Die Regierung muss wechseln, um das Ausbluten zu stoppen.« In dem heimlich mitgeschnittenen Gespräch ging es darum, die Operation »Lava Jato« (Autowaschanlage) der brasilianischen Bundespolizei einzugrenzen. Die erste Stimme gehört Sérgio Machado, Ex-Manager des staatlichen Erdölkonzerns Petrobrás. Die andere gehört Romero Jucá, Senator des Bundesstaates Roraima und designierter Planungsminister des Kabinetts von Übergangspräsident Michel Temer. Gegen beide wird im Rahmen von »Lava Jato« ermittelt. Konkret geht es in den Untersuchungen um Millionenzahlungen von Petrobras und großen Baufirmen an Politiker.

Dieses und andere Gespräche hat Sergio Machado vermutlich im Rahmen einer Kronzeugenregelung aufgenommen. Entstanden sind die Mitschnitte offenbar im März, kurz bevor die Abgeordnetenkammer entschied, ein Amtsenthebungsverfahren gegen Präsidentin Dilma Rousseff von der Arbeiterpartei PT einzuberufen. Die kürzlich geleakten Aufnahmen bestätigen, was viele bereits vorher vermutet hatten: Bei dem Amtsenthebungsverfahren gegen Rousseff geht es nicht um die Haushaltstricksereien, derer sich die Präsidentin bedient hatte. Vielmehr ging es darum, die Korruptionsuntersuchungen zu blockieren und eine politische Kaste wieder an die Macht zu bringen, die mit ihrem Programm niemals eine demokratische Wahl in Brasilien gewinnen könnte.

In dem Gespräch ging es noch um zahlreiche andere Abgeordnete, Senatoren und Oberste Richter, die in das Komplott eingeweiht werden sollte. Auch die Führungsriege des Militärs war offenbar einbezogen. Der amerikanische Journalist Glenn Greenwald erklärte deshalb kürzlich auf seiner Internetseite »The Intercept«: »Wir müssen beginnen, von einem Putsch in Brasilien zu sprechen.« Selbst im korruptionsgebeutelten Brasilien überraschte die kriminelle Energie, mit der die traditionelle politische Kaste sich zur Amtsenthebung verschworen hat. Romero Jucá war hier offenbar der Hauptstrippenzieher. Nach der Veröffentlichung des Mitschnitts musste der Interimspräsident und einstige Vize von Rousseff, Michel Temer, einlenken und Jucá aus dem Kabinett zurückziehen.

Der studierte Wirtschaftswissenschaftler und Agronom Romero Jucá repräsentiert trotzdem wie kaum ein anderer das Kabinett der Übergangsregierung: Er ist weiß, männlich und kommt aus der Oberschicht. Die Übergangsregierung bleibt zunächst nur für die Dauer des Impeachmentverfahrens gegen Rousseff im Amt, also für maximal ein halbes Jahr. Doch bereits jetzt mutet die Regierung wie eine Rückkehr in die Alte Republik (1889-1930) an, als die postkolonialen Eliten Brasiliens das Land wie ihren Privatbesitz regierten.

Jucá kommt aus dem nordöstlichen Bundesstaat Pernambuco, wo die alten Eliten traditionell am stärksten sind. Er gilt als rechte Hand von Michel Temer in der Legislative. Obwohl er nun nicht mehr in der Regierung ist, berät er weiterhin den Übergangspräsidenten.

Seine politische Laufbahn begann Jucá in den 1970er Jahren während der Militärdiktatur in seinem Heimatstaat Pernambuco, mit gerade einmal 25 Jahren. Die Familie des 1954 geborenen Jucá hatte beste Verbindungen zum regierenden Gouverneur Moura, und so machte er schnell Karriere. Er hatte Wirtschaft und Agronomie studiert und arbeitete hauptsächlich in staatlichen Instituten, die die Agrarentwicklung fördern sollten. Im Verlauf der Jahrzehnte auf der politischen Bühne wechselte er mehrfach die Partei, seine Position jedoch selten: In erster Linie agierte er mit der jeweiligen Regierung im Interesse von Agrarlobby und Großgrundbesitzern.

Von 1986 bis 1988 war er Direktor der Indigenenbehörde FUNAI und damit für den Schutz von indigenen Territorien verantwortlich. Damit wurde der Bock zum Gärtner gemacht: Er wurde später verklagt, weil er gegen Schmiergelder dem illegalen Holzeinschlag im Reservat Uru-eu-au-wau zugestimmt hatte. Als Gouverneur des Bundesstaats Roraima im Amazonasgebiet regierte er ab 1988 im Interesse von Viehzüchtern und Goldschürfern und scherte sich nicht um den Schutz der indigenen Bevölkerung und des Regenwaldes. 1994 wurde er zum Senator von Roraima gewählt. Kurz nach seiner Wahl kassierte das Wahlgericht des Bundesstaates sein passives Wahlrecht für drei Jahre. Offenbar war er in mehrere Korruptionsstränge involviert, um seinen Wahlkampf zu finanzieren. Doch Jucá konnte sich gerichtlich durchsetzen und blieb bis heute Senator. Am 31. Mai wurde beantragt, sein Sentatsmandat zu kassieren. Ob der gewiefte Jucá sich erneut behaupten kann oder nicht - das wird auch ein Test für die brasilianische Demokratie.