nd-aktuell.de / 15.06.2016 / Politik / Seite 7

Weiße Nächte und goldene Brücken

St. Petersburg und Präsident Putin laden zum Internationalen Wirtschaftsforum und viele kommen

Irina Wolkowa, Moskau
Mit dem Petersburger Wirtschaftsforum verbinden nicht nur die Gastgeber einige Hoffnungen. Auch prominente Gäste sind angekündigt.

Altgediente Kolumnisten in Moskau fühlten sich entfernt an die Leipziger Messe zu DDR-Zeiten erinnert. Der Westen ließ an dem »Regime« in Ostberlin kein gutes Haar. Doch Granden der zweiten Reihe und das Topmanagement der Konzerne, vor allem Bosse aus der alten Bundesrepublik, standen dennoch Schlange, um Erich Honecker beim Messerundgang die Hand schütteln zu dürfen.

Auch für die Muskeln der Rechten von Kremlchef Wladimir Putin beginnt Donnerstag ein dreitägiger Stresstest. In St. Petersburg wird das Internationale Wirtschaftsforum eröffnet. Es findet seit 1997 statt und ist Moskaus Gegenentwurf zum alljährlichen Weltwirtschaftsgipfel in Davos. Und Sanktionen hin, Gegensanktionen her: EU-Kommissionspräsident Jean Claude Juncker kommt, Italiens Regierungschef Matteo Renzi hat ebenfalls zugesagt. Sogar UN-Generalsekretär Ban Ki Moon gibt sich die Ehre. Insgesamt über 3500 Teilnehmer haben sich angemeldet, etwa die Hälfte kommt aus dem Ausland. Das, so steht es auf der Website des Forums, seien 30 Prozent mehr als im Vorjahr.

Die Statistik hat indes einen Schönheitsfehler. Für die rekordverdächtigen Teilnehmerzahlen sorgen die BRICS-Staaten, weltweit am schnellsten wachsende Schwellenländer wie Brasilien, Indien und Südafrika. Allen voran ist Moskaus strategischer Partner China. Denn bei Putins Besuch kommende Woche sollen neue Kooperationsabkommen mit einem Gesamtvolumen im zweistelligen Milliardenbereich unterzeichnet werden. Darunter zum Bau von Hochgeschwindigkeitsstrecken in Russland, auf denen auch chinesische Züge fahren sollen. Zweimal so schnell wie der Sapsan von Siemens, der die 700 km zwischen Moskau und St. Petersburg seit ein paar Jahren in nur 3,5 Stunden bewältigt. Der Münchner Traditionskonzern, so ein Wirtschaftsfachmann aus der Kremladministration, habe sich auch für die Hochgeschwindigkeitsstrecke Moskau-Kasan interessiert, die Entscheidung sei aber zugunsten Pekings gefallen. Auch aus Kostengründen, vor allem aber, weil vom Reich der Mitte keine Sanktionen oder Kritik an Demokratiedefiziten zu befürchten sei.

Zudem haben die russischen Staatsbahnen durchgesetzt, dass die nötigen Produktionsstätten in Russland gebaut werden. Das Kalkül: Technologietransfer quasi zum Nulltarif. Auch China, so unabhängige Experten, habe die ersten Hochgeschwindigkeitszüge bei Siemens geordert und sei dann nach einem altbewährten Prinzip verfahren: kaufen, kopieren, gegen das Original konkurrieren und dieses mit dem kostengünstigeren Klon vom Markt fegen. Das sei auch das Langzeitziel Putins, der westlichen Konzernen in St. Petersburg goldene Brücken für die Rückkehr nach Russland bauen wolle.

Zwar gilt in der internationalen Politik nach wie vor das alttestamentarische Prinzip Auge um Auge, Zahn um Zahn. Verlängert der Westen seine Russland-Sanktionen, zieht Moskau mit einer Verlängerung des Einfuhrstopps für EU-Lebensmittel nach. Putins Charme-Offensive könnte daher vor allem für Landwirte und die verarbeitende Industrie eine teuflische Versuchung sein. Um Sanktionen wie Gegenaktionen zu umgehen, so schreibt die Wirtschaftszeitung rbk, sollen westliche Konzerne Tochter-Unternehmen in Russland registrieren und produzieren lassen. Auch wolle Putin ihnen eine Beteiligung an Auktionen zur weiteren Veräußerung von Staatsbetrieben schmackhaft machen. Deren Anteile seien wegen der Wirtschaftsflaute derzeit besonders wohlfeil zu haben. Die Organisatoren des Wirtschaftsforums, so rbk, hätten dafür schon bei einem Treffen mit Schwergewichten der deutschen Wirtschaft Ende April in Stuttgart geworben. Europa, vor allem die Deutschen, würden mit »einiger Sorge« verfolgen, wie die Konkurrenz aus Nicht-EU-Ländern sie vom russischen Markt verdrängt.

Das Forum, so sehen es russische Medien nahezu einmütig, könne daher zu einem Wendepunkt in den Beziehungen Russlands zum Westen werden. Das Massenblatt »Moskowski Komsomolez« sprach sogar schon von ersten Anzeichen für Tauwetter. Gäste und Gastgeber seien bestrebt, auch in äußerst heiklen Fragen Kompromisse zu finden.

Gemeint war dabei unter anderem ein Interessenausgleich in der Arktis. Das Thema steht in St. Petersburg zum ersten Mal auf der Tagesordnung. Im Schelf der internationalen Gewässer in Polnähe lagern gigantische Öl- und Gasvorkommen. Der Klimawandel macht deren Erschließung und Förderung zunehmend rentabel.