Gut gemacht, Jungs!

In Osteuropa distanzieren sich Politiker selten von den Hooligans. Im Gegenteil. Von Thomas Dudek

  • Thomas Dudek
  • Lesedauer: 6 Min.

Es ist ein Foto, wie es öfters entsteht, wenn Staatsoberhäupter auf langen Reisen unterwegs sind. Andrzej Duda sitzt in einem komfortablen Sessel seiner Präsidentenmaschine: Vor ihm liegen Papiere, der Präsident trägt legere Kleidung statt Schlips und Kragen. Doch es gibt einen gewaltigen Unterschied zu den Bildern seiner westlichen Kollegen. Der polnische Präsident trägt das Polohemd der einheimischen Marke »Red is Bad«, die sich wegen ihrer patriotischen Slogans besonders in der polnischen Ultraszene großer Beliebtheit erfreut.

Ein Bild mit Symbolcharakter: Denn es ist nicht das erste Mal, dass die nationalkonservative PiS von Jarosław Kaczyński versucht, die polnischen Ultras für sich zu gewinnen. Seit Jahren klatschen PiS-Politiker vor Begeisterung in die Hände, wenn in den polnischen Kurven Choreographien mit historischen und patriotischen Motiven präsentiert werden. Kritik ist nicht zu hören, wenn fremdenfeindliche Parolen gesungen werden oder gegen die Opposition gerichtete Transparente zu sehen sind. So wie im Mai, als Legia Warschau Hooligans den Vertretern der Opposition mit dem Galgen drohten.

Sowohl die polnischen Ultras als auch die PiS verstehen die liberalen und die Oppositionsparteien als Vertreter der aus ihrer Sicht degenerierten III. Republik, die 1990 nach dem Zusammenbruch des Kommunismus aus der Volksrepublik hervorging. Einer Republik, in der sich ihrer Meinung nach ehemalige kommunistische Kader und liberale Vertreter der Solidarność am Runden Tisch die Macht aufgeteilt haben und in der alles bekämpft wird, was das Selbstbewusstsein der Polen stärken könnte. Es ist eine von Patriotismus durchtränkte Systemkritik, in der jeder Andersdenkende als Kommunist und Verräter abgestempelt wird.

Die Anbiederung an die polnische Ultraszene wurde noch deutlicher, als die PiS im vergangenen Herbst die Parlamentswahlen gewann. Eine ihrer ersten Handlungen war das offizielle Gedenken an die »Zołnierzy Wyklęci«, die verstoßenen Soldaten, die nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die frühen 60er Jahre gegen die sozialistische Regierung im Untergrund gekämpft haben. Bei diesem Kult bleibt kein Platz für kritische Stimmen, obwohl es sich bei den Verstoßenen keineswegs nur um ehrenhafte Widerstandskämpfer handelte. Einige Gruppen sind auch für Massaker an Zivilisten verantwortlich, die vor allem auf dem Territorium des heutigen Litauen und im Grenzgebiet zwischen Polen und der Ukraine begangen wurden.

Im Umgang mit den Ultras offenbart sich auch die Rolle, die der Sport in der Politik der PiS spielt. »Der Fußball vereint die Polen. Dieser hat die Dimension, einen modernen Patriotismus und ein Zusammengehörigkeitsgefühl der Polen aufzubauen«, erklärte TVP-Intendant Jacek Kurski Ende April, als sein Sender überraschend und für teures Geld seinem Konkurrenten Polsat die Übertragungsrechte für die EM-Spiele der polnischen Nationalmannschaft abgekauft hatte.

Ein Land, in dem der Sport eine noch wichtigere politische Rolle einnimmt, ist Russland. Und wie in Polen scheuen sich auch dort die Regierenden nicht davor, der einheimischen Ultra- und Hooliganszene mit Kritiklosigkeit gegenüberzustehen. Erneut deutlich wurde dies nach den Ausschreitungen russischer Fans bei der EM in Frankreich. So ermahnte Dimitrij Peskow, Sprecher des russischen Präsidenten, die russischen Anhänger, sich an die Gesetze in Frankreich zu halten, doch gleichzeitig scheute man sich nicht, die Ausschreitungen politisch auszuschlachten. Erst sprach Außenminister Sergej Lawrow von einer antirussischen Kampagne, später wurde der französische Botschafter in das russische Außenministerium einberufen, wo er die Verhaftungen russischer Fans durch die französische Polizei rechtfertigen musste.

Doch wer deshalb hierzulande behauptet, dass es sich bei den Hooligans aus Russland um Schlägertrupps von Wladimir Putin handelt, betreibt nichts als Verschwörungstheorien. Denn die russische Ultraszene ist stramm rechtsradikal und rassistisch. Wie in Polen und der Ukraine sind die Übergänge zur Hooliganszene fließend. Der Unterschied: Die Verbindungen in die Neonazi-Szene sind in Russland seit den 1990er Jahren viel ausgeprägter.

Bestes Beispiel dafür ist Alexander Schprygin, der momentan wohl bekannteste russische Fan in Europa. In den 1990er Jahren war er nicht nur ein führender Kopf der Dynamo-Moskau-Hooligans, sondern auch eine bekannte Persönlichkeit in der dortigen Neonaziszene. Bis heute ist das Internet voll von Fotos, auf denen Schprygin neben dem Sänger der russischen Naziband »Korrozia Metalla« mit dem Hitlergruß posiert, oder auf dem Cover eines Dynamo-Moskau-Fanzines von 1998 zu sehen ist, auf dem er neben jemanden steht, der sich als Adolf Hitler verkleidet hat.

Seiner Karriere hat dies nicht geschadet. Seit 2007 ist er Präsident des Dachverbands russischer Fußballfans VOB. Zudem sitzt er beim russischen Fußballverband RFS im Komitee für Sicherheitsfragen und Fanbelange.

Schprygin, dessen VOB für den Verkauf der Auswärtstickets der russischen Nationalmannschaft und die Organisation der Fahrten verantwortlich ist, kann diese Funktion auch deshalb ausüben, weil er gut vernetzt in der russischen Politik ist. Bei Igor Lebedew, dem Sohn des Rechtspopulisten Wladimir Schirinowski und stellvertretendem Vorsitzenden der Duma, verdient Schprygin seinen Unterhalt als dessen parlamentarischer Mitarbeiter. Lebedew sitzt selbst auch im Präsidium des russischen Fußballverbandes und erlangte traurige Berühmtheit, als er zu den EM-Ausschreitungen in Marseille »Gut gemacht, Jungs« twitterte.

Wie rechtsradikal die Ultraszene in Russland ist, war in den letzten Jahren auch in den Stadien unübersehbar. Russische Vereine, die in den europäischen Wettbewerben vertreten waren, wurden wegen rassistischer Ausfälle ihrer Fans von der UEFA mehrmals zu Strafen verurteilt. ZSKA Moskau musste sogar zwei seiner Champions-League-Partien vor leeren Rängen austragen. Hulk, der brasilianische Stürmer von Zenit St. Petersburg, beklagte offen, dass solche Vorfälle zum Alltag der russischen »Premjer Liga« gehören.

Da verwundert es auch nicht, dass Fratria, die größte Ultra-Gruppierung von Spartak Moskau, 2009 auf den Rängen den 120. Geburtstag von Adolf Hitler feierte. Mit dem Neonaziproblem wollten sich russische Sportpolitiker und Funktionäre über Jahre nicht befassen oder es gar negieren. Das ging soweit, dass schwarze Spieler, die sich gegen Anfeindungen wehrten, sogar vom Verband bestraft wurden.

Doch nicht nur in Russland wird dieses Problem verharmlost oder gar negiert. Als es in der Saison 2014/15 bei den Europa-League-Spielen von Dynamo Kiew wiederholt zu Ausschreitungen kam, behaupteten führende ukrainische Politiker immer wieder zur Rechtfertigung, die Kiewer Fans seien durch die gegnerischen Anhänger provoziert worden. Zur Erregung der Dynamofans reichte es teilweise schon aus, dass die Vereinsfarben des Gegners an die russischen Nationalfarben erinnerten. Als beim Champions-League-Spiel gegen Chelsea London schwarze Fans auf den Tribünen angegriffen wurden, dachte der Direktor des Kiewer Olympiastadions allen Ernstes öffentlich darüber nach, ob man nicht vielleicht spezielle Sektoren für dunkelhäutige Anhänger einrichten sollte.

Die Gründe für die Verharmlosung von Gewalt und Rassismus im Fußball, bei der sogar die ukrainische Sportpresse mitmacht, liegen in der politischen Entwicklung der vergangenen zwei Jahre. Es waren vorwiegend Ultras, die sich 2014 auf dem Euromaidan Straßenschlachten mit den Berkut-Einheiten lieferten. In der Ostukraine kämpfen viele Ultras gegen die russischen Separatisten mit - wie auf der deren Seite auch einige russische Ultras. Was dazu führt, dass vor der rechtsradikalen Gesinnung der Ultras gerne mal die Augen verschlossen werden.

Ein Resultat des Ignorierens in Osteuropa ist, dass die Ukraine zusammen mit Polen und Russland eine traurige Liste anführt. Gegen niemanden sprach die UEFA mehr Strafen aus als gegen diese drei Länder.

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