Die nachdenkliche Macht

Außenminister Steinmeier kritisiert Säbelrasseln und Kriegsgeheul gegen Russland. René Heilig über eine Politik im Sinne von Willy Brandt und die Frage, wen der SPD-Politiker eigentlich mit seinem Appell adressiert

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.

»Was wir jetzt nicht tun sollten, ist durch lautes Säbelrasseln und Kriegsgeheul die Lage weiter anzuheizen«, sagt der deutsche Außenminister in der »Bild am Sonntag«. Das gilt für alle Regionen der Welt, ist aber speziell gegen den NATO-Aufmarsch an den Grenzen zu Russland gemünzt. Klare Worte, die man seit langem vermisst hat – oder gerade wegen des Gerassels und Geheuls – nicht gehört hat.

Reaktionen, der SPD-Mann wolle damit nur NATO-kritisches und Russland-freundliches Wählerpotenzial abschöpfen, sind so flach, dass man sich mit ihnen nicht lange aufhalten sollte. Nein, Steinmeier, an dessen Person und Politik gewiss vieles kritikwürdig ist, rekapituliert letztlich nur, was einst unter Willy Brandt und Egon Bahr westliche Friedensdoktrin und angewandte Politik war. Der SPD-Minister ist einer von denen, die den damals herrschenden Kalten Krieg und die folgenden realen Mordzüge in der Welt offenbar ehrlicher als andere analysiert haben und daher weiß: Es ist »fatal, jetzt den Blick auf das Militärische zu verengen und allein in einer Abschreckungspolitik das Heil zu suchen«.

Ohne Schnörkelei stellt Steinmeier sich gegen die vorherrschende – nicht die allseits im NATO-Bündnis akzeptierte Politik - mit der wieder einmal versucht wird, aus einer Position der Stärke heraus Russland zu erniedrigen. Eine Politik, die genau das Gegenteil von dem erreicht, auf was sie angeblich abzielt. Zum Schaden für ganz Europa.

Die Geschichte lehre, dass es neben dem gemeinsamen Willen zur Verteidigungsbereitschaft immer auch die Bereitschaft zum Dialog und Kooperationsangebote geben müsse, wirbt Steinmeier und will mit den Partnern wieder verstärkt über den Nutzen von Abrüstung und Rüstungskontrolle für die Sicherheit in Europa sprechen. Partnern? Das sind die NATO-Staaten. Klar. Das ist aber auch Russland. Nicht nur in der Ukraine- und in der Syrienfrage. Auch bei all den Herausforderungen, die mit der Migration und der Flucht von Abertausenden über das Mittelmeer zusammenhängen, kann man nicht so einfach gegen Russlands Stimme im UN-Sicherheitsrat etwas durchsetzen. Und mit wem könnte das neue atomare Wettrüsten beendet werden, wenn nicht mit Russland?

Steinmeiers Kritik ist streng. An wen richtet sie sich? Gewiss an Litauen, Lettland und Estland, die eine ständige Stationierung von NATO-Truppen an der Ostgrenze der Allianz fordern. Dies aus einer Sicht heraus – erinnern wir uns an die Situation der beiden deutschen Staaten vor dem Mauerfall –, die davon ausgeht, zum ersten Ziel zu werden, wenn Politik versagen sollte.

Auch Rumänien sollte sich angesprochen fühlen. Noch mehr richtet sich die Kritik jedoch an die Adresse Warschaus. Die dortige rechtskonservative Regierung ist gerade dabei, den Bogen zu überspannen. Nicht nur dadurch, dass sie kleine Routinemanöver wie »Anakonda« zu einem multinationalen militärischen Massenauflauf aufbläst. Und dabei Staaten wie die Ukraine und Georgien einlädt, was nicht nur ein Affront gegenüber Russland, sondern auch gegen all jene in der NATO ist, die den beiden Staaten aus sehr vernünftigen Gründen derzeit keine Mitgliedschaft anbieten.

Wenn Steinmeier aber über nicht förderliche Panzerparaden spricht, dürfte sich vor allem Washington angesprochen fühlen. Die USA versuchen – auch vermittelt über Polen, die drei baltischen Staaten und Rumänien – das westliche Europa gegen den östlichen Teil des Kontinents in Stellung zu bringen. Diese spannungsgeladene Konkurrenz schädigt beide Teile Europas - und der lachende Dritte jenseits des großen Teichs hat so nicht zuletzt mehr strategische Power, um sich in Richtung China zu orientieren. Kurzum, Steinmeister Appell wird weder Barack Obama noch Hillary Clinton oder gar Donald Trump freuen. Das muss und soll er auch gar nicht. Freunde vertragen Kritik. Oder nicht?

Wir werden das an den über den Atlantik kommenden Reaktionen ablesen können. Dass welche kommen, ist klar, denn die dortigen Hardcore-Politiker werden es gar nicht mögen, dass ein vernunftbegabter deutscher Außenminister ihnen so in die für den Warschauer NATO-Gipfel im Juli angerichtete Suppe spuckt.

Bleibt eine Frage: Richtet sich Steinmeiers Kritik nicht auch gegen die eigenen Kollegen im Kabinett und speziell gegen die Kanzlerin? Möglich. Doch wer sich erinnert, wie eng das Außenressort und Verteidigungsministerium ihre Arbeit über Parteigrenzen hinweg verzahnt haben, glaubt nicht, dass Ursula von der Leyen erzürnt mit dem Füßchen aufstampft. Zumal man in ihrem Amt so manche Verzögerung beim deutschen Mittun am Ostaufmarsch der NATO eingebaut hatte. Dass Steinmeier Angela Merkel das Leben schwerer macht, weil sie bei Obamas Hannover-Besuch zu eilfertig geforderte Zusagen abgeben hat, mag sein. Dass sie jedoch grundsätzlich anders denkt als ihr Außenminister, mit dem sie gemeinsam die Ukraine-Konfrontation entschärft hat, ist nicht anzunehmen.

Deutschlands globale Rolle in der Welt ist gewachsen. Nicht nur, weil die restliche EU zerfällt. Welche Art Macht will Deutschland sein? Eine ökonomische Macht ist das Land bereits, manche wollen es auch wieder zu einer militärischen aufrüsten. Welche Überlegungen der deutsche Außenminister zum Thema hegt, erklärte er dieser Tage in der Fachzeitschrift »Foreign Affairs«. Steinmeier bemühte dabei eine fast vergessene Kategorie - die »nachdenkliche Macht«.

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