Hass auf unsere Community

In den USA wird über die Motive des Anschlags in Orlando und über schärfere Waffengesetze diskutiert

  • Max Böhnel, New York
  • Lesedauer: 4 Min.
US-Präsident Barack Obama ruft nach dem Massaker in einer Schwulen-Bar erneut zur Verschärfung der laxen Waffengesetze auf. Viel spricht nicht dafür, dass sich in den USA grundlegend etwas ändert.

Tausende von Blutspendern, spontane Demonstrationen im ganzen Land, mit Regenbogenfahnen drapierte öffentliche Gebäude, Hunderttausende Unterschriften für schärfere Waffengesetze - die Liste der Solidaritätsbekundungen und Forderungen, die dem Massaker von Orlando folgen, ist damit noch nicht zu Ende. Aber auch nach dem größten Schusswaffenanschlag, der die USA bisher erschüttert hat, wird die Gewalt nicht nachlassen.

Die gute Nachricht: In den USA ist im vergangenen Jahrzehnt Homosexualität zunehmend in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Eine knappe Mehrzahl der US-Amerikaner akzeptiert Schwule, Lesben und Transgender-Menschen. 2012 hatte mit Barack Obama erstmals ein USA-Präsident seine Zustimmung zum Heiratsrecht sexueller Minderheiten bekundet. Im vergangenen Jahr erklärte das Oberste Gericht in Washington »same sex marriages« bundesweit für rechtens. Vor zehn Jahren schien dies noch undenkbar. Damals plädierte nur ein Drittel der US-Amerikaner für die Gleichberechtigung sexueller Minderheiten. Die größte Toleranz findet sich mit zwei Dritteln Zustimmung bei den jüngsten Amerikanern. Dagegen ergibt sich zwischen den beiden großen Parteien eine Kluft. Über den Daumen gepeilt sind Demokraten tolerant und Republikaner intolerant.

Die schlechte Nachricht: Im selben Zeitraum gingen Hass und Gewalt gegen sexuelle Minderheiten nicht zurück, sondern blieben auf demselben Niveau. Für das Jahr 2014 listete die USA-Bundespolizei FBI insgesamt 5462 »hate crimes« (Hassverbrechen) auf. 18,6 Prozent der Übergriffe und Gewalttaten richteten sich gegen die Opfer wegen deren sexueller Orientierung. Ebenso viele Straftaten wurden an Opfern wegen deren religiöser Orientierung begangen. Die größte Kategorie machten mit 47 Prozent rassistische Verbrechen aus. Blieb die Zahl der Übergriffe im Verlauf von zehn Jahren konstant hoch, so war das Massaker von Orlando der bislang grauenhafte Höhepunkt von Gewaltverbrechen gegen sexuelle Minderheiten in den USA.

Die Motive des Täters Omar Mateen sind noch nicht eindeutig geklärt. Bekannt ist über ihn, dass er nicht besonders religiös war, sich aber wahrscheinlich im Internet selbst radikalisierte und den Terroranschlag als »einsamer Wolf« beging. Operative Verbindungen zum »Islamischen Staat« hatte Mateen dem bisherigen Kenntnisstand nach nicht, obwohl er sich während der Tat zu ihm bekannte, wahrscheinlich als Reizwort, um mehr Aufmerksamkeit zu erzeugen. Er hielt sich gelegentlich in schwulen Bars auf. Ob er selbst homosexuell war oder die Kneipen zur Vorbereitung seiner Tat ausspähte, ist ebenfalls nicht geklärt. Gewaltbereitschaft und -tätigkeit waren ihm offenbar nicht fremd. Seine Ex-Ehefrau erzählte in einem Interview, er habe sie mehrmals geschlagen und beschimpft. Zudem arbeitete Mateen als bewaffneter Wächter für die britische, weltweit operierende Sicherheitsfirma G4S. Dort bekundete er gegenüber Kollegen Sympathien für Hisbollah und Al Qaida - obwohl beide im Nahen Osten bewaffnet gegeneinander kämpfen.

Einer der wenigen USA-Politiker, die das Massaker von Orlando nicht zu den eigenen politischen Gunsten ausschlachten, ist der demokratische Kongressabgeordneter aus New York Sean Patrick Maloney. Als Mitglied der kleinen schwullesbischen Arbeitsgruppe im Washingtoner Repräsentantenhaus deutete er, statt auf Einzelaspekte hinzuweisen, auf eine Kombination von Ursachen hin, die der Gewalt in den USA zugrunde liegen. Der Angriff sei erfolgt aus »Hass auf unsere Community und unsere Werte und einer sinnlosen Verachtung von unschuldigem Leben.« Das Land müsse sich jetzt auseinandersetzen mit der »Bedrohung, die von Waffengewalt, Terrorismus und Hass auf LGBT-Menschen ausgeht«.

Wie nach jedem Vielfachmord mit Schusswaffen machen auch dieses Mal erschütternde Statistiken die Runde, etwa die Zahlen der Schusswaffenkontrollvereinigung »Brady Campaign«. Demnach werden in den USA im Tagesdurchschnitt 289 Menschen angeschossen, davon sterben 86. Die Mehrzahl der Toten sind Selbstmörder, die sich erschießen. 30 Menschen werden ermordet, zwei sterben zufällig in einem Unfall, eine Person wird von der Polizei erschossen.

Die »New York Times« führte aus, dass fast alle Waffen, die bei den letzten 16 großen Massenschießereien zum Einsatz kamen, legal erworben worden waren. In der Hälfte der Fälle hatten die Täter eine kriminelle Vergangenheit oder waren psychisch krank. Im Vergleich mit anderen hoch entwickelten Ländern stehen die USA mit der Todesrate durch Schusswaffen mit großem Abstand an der Spitze. Die Quote ist 15 Mal höher als in Deutschland.

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