Unter Glücklichen

Die österreichische Gemeinde Kufstein veranstaltete kürzlich ein Glücksfestival. Ist dort der Heilige Gral des ewigen Seelenheils zu finden? Ein Besuch. Von Christin Odoj

Niemand ist einsamer als der Skeptiker unter Glücklichen. Sie stehen im Kreis, trampeln erst zögerlich, dann immer vehementer auf den weichen, nachgiebigen Waldboden ein. Alle machen mit, also macht man auch mit, schließlich sind sie gekommen, um das Glück zu suchen, denn hier soll es zu finden sein: in Kufstein, einer 18 000 Einwohner zählenden Gemeinde im Tiroler Unterland.

Der Tourismusverband der Region, der mit Passionsspielen, dem Tiroler Operettensommer und dem Blumenkorso Open Air (Special Guest in diesem Jahr: Hansi Hinterseer) zwar glücklich, aber nicht glücklich genug ist, kam auf die Idee, ein Literatur-, Philosophie- und Naturwissenschaftsfestival zu veranstalten, das sie »glück.tage« nannten. 96 Stunden vollgepackt mit Exkursionen, Vorträgen und einem Poetry Slam. Umfassend sollte das Thema angegangen werden, Sehnsüchte sollte es wecken. Glücklich, dachten sie sich in ihrem kleinen Büro in der Kufsteiner Altstadt, will schließlich jeder sein. Inspirierende Denkimpulse sollten die »glück.tage« aussenden, Chancen zur persönlichen Weiterentwicklung bieten.

Und so gibt es das Glück im Package; vier Nächte im Doppelzimmer, drei Vorträge und eine Exkursion, plus kostenlosem Eintritt zur Festung Kufstein für 255 Euro. Oder man bucht das Seelenheil zum Einzelpreis.

Kristine hat 15 Euro für »die Astrid« bezahlt. Astrid Süßmuth ist Dozentin für alpine Heilkräuterkunde, Heilpraktikerin, Bergwanderführerin, Geomantin - eine Art Feng-Shui-Beraterin - und unsere Workshopleiterin zum Thema »Das Glück im Gehen«. Sie bietet während der »glück.tage« noch einen weiteren Kurs an: »Glück.Orte und magische Wege«. Kristine, pensionierte Krankenschwester und gebürtige Kufsteinerin, hat beide Kurse gebucht und am Abend will sie noch zum Vortrag von Erwin Thoma, dem »Baumguru«. Seine Bücher, allesamt Bestseller, heißen »Bäume für die Seele - welches Holz stärkt mich« und »Die geheime Sprache der Bäume«.

Bei »Glück im Gehen« stehen zunächst 15 Menschen aus Österreich und Deutschland auf einer Wiese des Kufsteiner Kaisertalaufstiegs und warten auf die Resonanz der Natur, die irgendwo zwischen ihren dicken Wanderschuhprofilen und den eigenen Hemmungen, mal loszulassen, festklemmt. Im Hintergrund orchestriert ein heraufziehendes Gewitter das dumpfe Poltern der 30 Beine auf dem Waldboden. Langsam wölbt es sich über den nächsten Berggipfel und droht, uns bald zu verschlingen. Kristine flüstert zu ihrer Kreisnachbarin rüber: »Wow, das hat was Mystisches.« Sie hat die Botschaft von der transformativen Energie des Positiven schon begriffen, bevor es überhaupt losgeht. Ein Glücksvollprofi. Kristine, stämmig und sehr energisch, mit wildem langen Haar, bei dem das Schwarz noch nicht endgültig vor dem Grau kapitulieren will, ist eine von denen, die, wenn man sie fragt, warum sie hier ist, direkt zurückfragt, warum man das wissen will. Eine von denen, die in solchen Gruppen meist alleine laufen und zu allem, was »die Astrid« zu sagen hat, einen passenden Kommentar parat hat. Sie ist die Erste, die auf die Frage, was Glück für sie bedeutet, nicht mit einer Floskel antwortet, also, von einer gesunden Familie oder einem tollen Abendessen bei Freunden erzählt.

Kristine ist ernsthaft auf der Suche nach dem inneren Frieden. Jahrelang konnte sie sich nicht zwischen den Extremen auspendeln. »Ich habe gesehen, was es heißt, sich bis zum Umfallen abzuhetzen«, sagt sie. Bis zu ihrer Rente hat sie im örtlichen Krankenhaus als Schwester gearbeitet. Im Urlaub war sie, anders als die meisten ihrer Kollegen, nicht in Italien oder auf den Balearen, sie reiste in die Krisengebiete dieser Welt. »Ich brauchte den Kick«, sagt sie. Also flog sie nach Libanon und Nicaragua. Bei einem dieser Urlaube schlug das Gewehrfeuer einmal direkt gegenüber ihrem Haus ein. »Als ich mittendrin war, begriff ich, wie abgestumpft ich geworden war.« Nun erträgt sie das Leben lieber in homöopathischen Dosen. Echtes Glück, sagt sie, sei die Entdeckung der Langsamkeit gewesen und wie zur Bestätigung wird ihr Schritt sofort trödelig. Dass sich die Gruppe hinter ihr staut, ist ihr egal.

Dass ein Glückfestival ausgerechnet in Kufstein stattfindet, wundert sie nicht. Die Leute hier seien sehr katholisch und die meiste Zeit gehe es nur »ums Schaffen«. »Während man in Kärnten, weil die dort mehr Protestanten haben, auch mal nackt auf der Wiese liegen kann, wäre das hier undenkbar.« Früher habe sie sich gefragt, warum sie überhaupt noch geblieben sei. »Dann denke ich aber an die Natur, dieses Gefühl zu spüren, ob der Wind von rechts oder von links kommt. Das Rascheln der Bäume.«

Kristine trägt bei der Wanderung eine Kette mit einem Plastikanhänger, auf dem eine gelbe Figur zu sehen ist. Sie hat den Anhänger von Helmut Payr, dem Humanenergetiker des Ortes, geschenkt bekommen. Helmut teilt bei jeder seiner energetischen Heilwanderungen verschiedene Amulette aus, die er selbst entworfen hat. Sie sollen Heilung bringen, vor Elektrosmog schützen oder die ganzheitlichen Körperkräfte fördern. Kristines Kette lenkt negative Energien anderer Menschen ab, ihr Schutzpanzer aus Plastik, den sie extra für die Begegnung mit fremden Menschen umgehängt hat, denn die anderen Ketten aus Helmuts Repertoire hat sie auch.

Helmut bringt einem bei, dass man den Wald zu begrüßen hat, sobald man ihn betritt und sich für seine Gastfreundschaft bedankt, wenn man ihn verlässt. Helmut macht keine »Baumumarmungskurse«, sagt er und mit dem ganzen »Eso-Kram« habe er nichts am Hut. Helmut war früher einmal Druckvorstufentechniker, bis ihn seine Firma, für die er aufgrund seiner langjährigen Arbeitserfahrung zu teuer wurde, wegrationalisieren wollte. Ihm blieb die Wahl zwischen mehr Arbeit für weniger Geld oder dem Weg ins Unbekannte, die Selbstständigkeit. Jetzt erklärt er Menschen wie Kristine, was Chakren und Meridiane sind und misst mit einem Tensor ihre Energiefelder. Er hilft ihnen bei Schlafstörungen, Wirbelsäulenproblemen, Depression oder wenn sie mit dem Rauchen aufhören wollen. Seinen Job nennt er »Energiearbeit« und dafür sucht er in den Wäldern nach Kraftorten, die die körpereigenen Selbstheilungskräfte aktivieren. Einmal habe eine Journalistin über seine Wanderungen geschrieben, sie seien Abzocke, das hat ihn verletzt. »Meine Heilwanderungen bietet der Tourismusverband kostenlos an«, sagt er. »Ich will den Menschen helfen, denen sonst nichts mehr hilft.« Für die, die nicht als Touristen gekommen sind, betreibt er eine Heilpraxis in Kufstein.

Nun steht Helmut mit uns, einer Wandergruppe, einen Tag, bevor wir Kristine treffen, mitten in einem Bach, den Körper zum Fluss des Wassers gerichtet. Der Platz sei nicht optimal, weil seit einigen Jahren nun ausgerechnet hier ein Strommast die Aura des Ortes versaut, aber was sollen wir machen. Helmut spricht mit freundlicher und sonorer Heilenergetikerstimme davon, jeglichen Groll und Ärger mit dem Wasser davon fließen zu lassen. Eine Drehung gegen den Fluss und die positiven Energien des Baches sollen in uns hineinfließen.

Wenn man eins über Österreich in diesen vier Tagen lernt, dann, dass dieses Land süchtig ist nach Harmonie. Auf den »glück.tagen« trifft man Menschen wie Maria, die Wanderführerin, die in den Bergen stets die Aphorismensammlung »Finde Deine Oase« im Rucksack dabei hat und Menschen, die mit ihrer Familie noch nie über Politik gesprochen haben. Es ist nicht so, dass sie sich nicht dafür interessieren. Sie sehen sich die Talkshows im Fernsehen an, wissen genau, wofür die Kandidaten bei der Bundespräsidentenwahl am 22. Mai gestanden haben. Aber was der eigene Ehemann, die Kinder und die Freunde gewählt haben und was sie denken, dass wissen sie nicht. Menschen, die im Gespräch kein schlechtes Wort über die vielen Geflüchteten verlieren, die im Winter hier ankamen, die aber trotzdem »Asylanten« sagen.

Es sind Menschen, die sich auf sich selbst konzentrieren können, weil von außen niemand ihre Kreise stört. Menschen, denen Life-Coach Veit Lindau aus Görlitz in einem Abendvortrag erzählt, dass das ewige Streben nach Glück zum Stressthema geworden ist und die dann nicken und seine Bücher kaufen. Menschen wie Kristine und Helmut, die schon mal ganz von vorne denken mussten und nun Heilung in etwas gefunden haben, was andere als esoterische Quacksalberei verlachen. Und so bleibt niemand unglücklicher nach den vier Tagen zurück als ein Zweifler unter all den Zuversichtlichen.

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