Es wird volatil

Die Börsenpanik war schnell vorbei - nun folgt eine Phase der Unsicherheit

Nach dem Brexit-Votum droht zwar keine neuerliche Finanzkrise. Die finanziellen Folgen für Großbritannien dürften freilich unerfreulich werden.

Nach Bekanntwerden des mehrheitlichen Ja der Briten zum EU-Austritt vergingen nur wenige Stunden, bis der Beschluss einen ersten Effekt hatte: Nach Berechnungen der Denk-fabrik London Economics hat Großbritannien in der Hitliste der weltgrößten Volkswirtschaften seinen fünften Platz an Erzfeind Frankreich verloren. Hierbei wird das Bruttoinlandsprodukt nämlich in Dollar gewichtet, gegen den das Pfund nach dem Brexit-Votum sofort um mehr als zehn Prozent abwertete und auf den tiefsten Stand seit über 30 Jahren fiel. Der Absturz war sogar stärker als am berüchtigten Black Wednesday 1992, als Spekulanten mit gigantischen Wetten dafür sorgten, dass das Pfund das Europäische Währungssystem verlassen musste.

Auch jetzt werden sich wieder einige Investoren eine goldene Nase verdient haben, denn es ging nicht nur mit dem Pfund bergab, sondern auch mit den Aktienkursen weltweit. Der Deutsche Aktienindex (DAX) etwa rauschte zum Handelsstart binnen weniger Minuten um rund 1000 Punkte in die Tiefe - so steil wie seit der Finanzkrise 2008 nicht mehr. Allerdings sieht dies dramatischer aus, als es tatsächlich ist: Rasch kam es zu einer Gegenbewegung, da viele Anleger niedrige Kurse zum Billigeinkauf nutzten. Bis zum Nachmittag betrug das Minus noch knapp sechs Prozent. Damit steht der DAX in etwa da, wo er schon vor einer Woche stand, bevor Pro-EU-Umfragen für eine deutliche Kurserholung sorgten. Und seit der Finanzkrise lag der DAX mit Ausnahme des Boomjahres 2015 fast immer niedriger als aktuell.

Dass sich Panik gar nicht erst richtig ausbreitete, dafür sorgten auch die Notenbanken. Mark Carney, Gouverneur der Bank of England, erklärte, man sei »gut vorbereitet« und habe »Feuerkraft«. Ähnlich äußerte sich der japanische Finanzminister und auch die Europäische Zentralbank erklärte, sie werde »erforderlichenfalls zusätzliche Liquidität in Euro und Fremdwährungen bereitstellen«. Durch den erheblichen Machtgewinn von Zentralbanken zeigen solche Ankündigungen inzwischen Wirkung. Und in den vergangenen Jahren haben die großen nationalen Notenbanken immer wieder gezeigt, dass sie zu konzertierten Aktionen in der Lage sind, um für Stabilität zu sorgen.

Das Hauptproblem scheint eher zu sein, dass keiner so recht weiß, was nun genau passieren wird. Auch die Briten nicht: Die Websites von Finanzblättern brachen unter dem Ansturm von Leuten zusammen, die herausfinden wollten, wie viel Geld sie denn genau verloren haben. Mehr als eine Momentaufnahme verpassten sie freilich nicht. Unsicherheit - etwa über die Folgen für die Exportwirtschaft und die ohnehin schwache Konjunktur in Großbritannien wie auch in der EU insgesamt - führt an den Börsen gewöhnlich zu größerer Volatilität, also einer Phase starker Kursschwankungen.

Darüber freuen sich Hardcorespekulanten, da hohe Risiken, wenn man sich nicht verzockt, besonders hohe Renditen bringen. Die größten Player sind die berüchtigten Hedgefonds, die übrigens in der Londoner City ihr Zentrum haben. Deshalb ist der Finanzdistrikt durchaus gespalten: Während internationale Großbanken ihren Europasitz womöglich nach Frankfurt oder Paris verlegen werden, will die Hedgefondsbranche in einem neuen Zockerfinanzparadies jetzt richtig durchstarten, verschont von der EU-Bankenunion und strenger Kapitalregulierung.

Da könnte man sich aber geschnitten haben: Mit einem schwachen Pfund wird man kaum Anleger aus aller Welt locken können. So sind bereits die extrem hohen Immobilienpreise in London etwas gefallen, die das Wohnen für Normalbürger zunehmend schwierig machen. Die Zeit Londons als Europas führendes Finanzzentrum dürfte dem Ende entgegengehen. Außerdem hatte sich die City viele Spielräume bei der lockeren Umsetzung von EU-Aufsichtsregeln gesichert, die bei den Verhandlungen über einen Partnerschaftsvertrag mit Brüssel nicht mehr zu halten sein werden.

Die Volatilität dürfte bekannten Krisenwährungen wie dem Dollar, dem Schweizer Franken, deutschen Staatsanleihen und Gold gut tun. Für den britischen Staat wird das Referendum ein teures Vergnügen: Die Ratingagentur Standard & Poor’s hat bereits angekündigt, Großbritannien nach einem halben Jahrhundert die Topbonitätsnote »AAA« zu entziehen. Der Staat müsste dann Anlegern höhere Zinsen bieten.

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