nd-aktuell.de / 30.06.2016 / Kommentare

Gefahr im Verzug

Hollande will Paris zu einer Hochburg der Finanzindustrie machen - mit verheerenden Folgen

Christian Klemm

Die wirtschaftlichen Folgen des Brexit sind noch nicht abzusehen. Zumindest währungspolitisch wäre der EU-Austritt Großbritanniens bereits jetzt ein Rückschlag: Kurz nach dem Referendum hat das englische Pfund den tiefsten Stand seit 40 Jahren[1] erreicht. Nicht auszuschließen ist, dass es mittel- und langfristig nicht wieder zu alter Stärke zurückfinden[2] wird. Fraglich ist außerdem, was aus der Londoner City wird, dem wichtigsten Finanzplatz Europas. Denn nach einem Austritt des Landes wird es für die in der englischen Hauptstadt ansässigen Banken nicht mehr so einfach möglich sein, in der EU ihren Geschäften nachzugehen.

Mehrere Metropolen wollen gerne die Nachfolge Londons antreten - heißester Kandidat ist Frankfurt am Main, wo die finanzpolitischen Fäden der EU-Mitgliedsstaaten in der Europäischen Zentralbank zusammen laufen. Der französische Präsident François Hollande hat jetzt Paris als neues Finanzzentrum für den »Alten Kontinent« ins Gespräch gebracht[3]. Es sei »legitim und logisch«, dass Frankreichs Banken sich vorbereiten, erklärte er. Seine Regierung müsse daher »unsere Regeln, darunter die fiskalischen, anpassen, um den Finanzplatz Paris attraktiver zu machen«.

Eine ähnliche Agenda hat Margaret Thatcher in Großbritannien vor mehr als 30 Jahren verfolgt. Mit ihr wurde erstmals neoliberale Politik in Europa durchexerziert, nachdem sie zuvor in Chile nach dem Staatsstreich gegen die linke Regierung von Salvador Allende 1973 ihre Anwendung fand. Thatcher, die enge Beziehungen zum Putschpräsidenten Augusto Pinochet pflegte, schränkte die Macht der Gewerkschaften ein, privatisierte zahlreiche Staatsunternehmen und deregulierte die Finanzmärkte. Das Bankenwesen ist seit Jahren der dominierende Wirtschaftsfaktor auf der Insel. Später erinnerte die Agendapolitik von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) an die der »Eisernen Lady«. Seitdem genießen die Banken in Deutschland Freiheiten, die sie unter der Regierung von Helmut Kohl (CDU) nicht hatten. So ermöglichte das Investmentmodernisierungsgesetz, das Anfang 2004 in Kraft trat, den Hedgefonds in der Bundesrepublik ihre Geschäfte.

Hollande hat mit seinem Arbeitsgesetz in den vergangenen Wochen hunderttausende Bürger gegen sich aufgebracht[4]. Vor allem Gewerkschaften, Studierende und soziale Bewegungen laufen Sturm gegen sein Reformvorhaben. Zusätzlich will Hollande Frankreich zu einer neuen Bankenhochburg machen. Auch dagegen müsste sich der Protest richten. Denn das Beispiel Großbritanniens zeigt, dass Deindustriealisierung und Erwerbslosigkeit mit so einem Vorhabens einher gehen können. Schließlich können nur die wenigsten Beschäftigten, die in einem französischen Industrieunternehmen eine Anstellung haben, als Broker in Paris ihre Brötchen verdienen. Es würde sich außerdem die Krisenanfälligkeit der französischen Wirtschaft erhöhen. Gerade die Finanzkrise von 2007/08 hat deutlich gemacht, welchen Schaden an den Börsen spekulierende Banken und Finanzdienstleister anrichten können. Das wiederrum hätte Auswirkungen auf die anderen EU-Staaten, die den Franzosen unter Umständen aus der Patsche helfen müssten.

Ein kriselndes Frankreich ist wohl das Letzte, was man in Brüssel zukünftig brauchen kann. Es könnte eine Lawine ins Rollen bringen, die am Ende niemand mehr aufhalten wird. Und das kann selbst Hollande mit seinem aktuellen Vorstoß nicht recht sein.

Links:

  1. http://www.n-tv.de/wirtschaft/Pfund-bricht-ein-Euro-kaempft-article18030911.html
  2. http://www.nd-aktuell.de/artikel/1015685.die-vernunft-wird-siegen.html?sstr=bontrup
  3. http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/brexit-hollande-will-paris-zum-neuen-finanzzentrum-machen-a-1100534.html
  4. http://www.nd-aktuell.de/artikel/1016281.frankreich-zehntausende-protestieren-gegen-arbeitsgesetz.html?sstr=proteste|frankreich