Fragen, warten, betteln

Einige Bundesländer und viele Kommunen halten eine Krankenkassen-Chipkarte für Flüchtlinge nicht für notwendig

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 3 Min.
In kaum einem Bundesland werden Flüchtlinge medizinisch optimal versorgt. Dennoch ist eine einheitliche Lösung in Form einer Krankenkassenkarte nicht in Sicht.

Die Gesundheitsversorgung für Flüchtlinge gleicht einem Flickenteppich. Nur Hamburg, Bremen und Schleswig-Holstein haben eine Chipkarte eingeführt. Die ermöglicht es Flüchtlingen, sich wie andere gesetzlich Versicherte selbstständig in ärztliche Behandlung zu begeben. Laut Asylbewerberleistungsgesetz dürfen Mediziner auch mit der Chipkarte nur akute Schmerzen und unmittelbar lebensbedrohliche Krankheiten therapieren. Ein Anspruch des Inhabers besteht zudem auf Schutzimpfungen, Früherkennungsuntersuchungen sowie Mutterschaftsleistungen. Auf den Karten ist im Feld »Besondere Personengruppe« ein Wert eingetragen, der Gesundheitsleistungen definiert, und zwar noch einmal unterschiedlich danach, ob der Karteninhaber bisher mehr oder weniger als 15 Monate hier ist. Bestimmte Vorsorge- und Rehamaßnahmen sowie Zahnersatz stehen für die Neuankömmlinge in Deutschland nicht offen.

In den meisten Bundesländern müssen Flüchtlinge in den ersten 15 Monaten nach Ankunft in einer Gemeinde bei den Behörden einen Behandlungsschein beantragen, wenn sie ein gesundheitliches Problem haben. Sie müssen fragen, warten, betteln. Ein Nichtmediziner entscheidet, ob jemand ärztliche Hilfe benötigt, und auch nur im Rahmen behördlicher Öffnungszeiten. Die Stadtstaaten Hamburg und Bremen hatten die Gesundheitskarte schon früher eingeführt, hier aber nur die ansässigen Allgemeinen Ortskrankenkassen eingebunden. Hamburg gibt im ersten Nutzungsjahr Einsparungen von 1,6 Millionen Euro an. Inzwischen hat sich auch Schleswig-Holstein dem System angeschlossen.

Nordrhein-Westfalen war im vergangenen Jahr mit der Ankündigung vorgeprescht, als erstes Flächenland eine Gesundheitskarte für die Asylbewerber zur Verfügung zu stellen. Zunächst wurde mit acht Krankenkassen ein Rahmenvertrag geschlossen. An diese müssen die Kommunen eine Pauschale für erwartete Behandlungskosten von 200 Euro pro Monat und Person zahlen, außerdem eine Verwaltungspauschale von mindestens zehn Euro. Die Städte sparen so zwar eigenen Verwaltungsaufwand, ob das aber auch unter dem Strich für ihre Kosten gilt, ist noch nicht ganz klar. Schon überlegen wohl einige Kommunen in dem Bundesland, zum alten System zurückzukehren. Laut Flüchtlingsrat Nordrhein-Westfalen sind große Städte wie Bonn, Düsseldorf, Köln, Bochum und Mönchengladbach sowie weitere kleine Kommunen mit dabei - 20 von 396 Kommunen machen mit. Ende letzten Jahres wurde geschätzt, dass etwa 180 000 Asylbewerber für die Gesundheitskarte in Frage kommen.

Thüringen ist wie weitere Bundesländer auf dem Weg zur neuen Regelung, Gespräche über die Rahmenvereinbarung mit verschiedenen Krankenkassen laufen. Erstellt werden muss auch ein Leistungskatalog. Das Prozedere dürfte nicht vor September abgeschlossen sein. Etwas weiter ist das Land Brandenburg. Dort sollte die Gesundheitskarte zumindest in Potsdam seit 1. Juli ausgeben werden. Ob und wie Landkreise und kreisfreie Städte dabei mitziehen, ist jedoch hier wie auch in Niedersachsen und Rheinland-Pfalz offen. In den beiden letzteren Bundesländern gibt es zwar Rahmenvereinbarungen mit den Krankenkassen, aber bis jetzt ist noch keine Kommune eingestiegen.

Berlin gibt die Karten seit Januar aus, bis etwa Mitte Mai waren das 2700 Stück. Weitere 4200 Karten wurden im Laufe der Neuregistrierung der Flüchtlinge beantragt. Hier sollen bis zum Jahresende alle Betroffenen mit dem Plastikausweis versorgt sein. Bayern betrachtet das System mit dem Behandlungsschein als ausreichend und erwägt nicht, die Chipkarte für Flüchtlinge einzuführen. Sachsen sieht das ähnlich, setzt aber auf drei sogenannte Internationale Ambulanzen in Dresden, Leipzig und Chemnitz. Weitere Bundesländer ohne die Karte sind Mecklenburg-Vorpommern, das Saarland und Baden-Württemberg. Aus dem Sozialministerium von Mecklenburg-Vorpommern heißt es, auf Grund einer zur Zeit sehr schnellen Bearbeitungszeit der Asylanträge von nur zwei Wochen sehe man keinen Grund mehr, die Karte einzuführen. Denn mit Erlangung eines Aufenthaltstitels stehen den Migranten Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung genauso zu wie den deutschen Versicherten. Sie erhalten eine Versicherungskarte. Die gewählte gesetzliche Krankenkasse holt sich die Behandlungskosten von den Sozialämtern der Kommunen zurück. Gleiches gilt für jene Menschen, die mehr als 15 Monate Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten, deren Verfahren aber noch nicht abgeschlossen ist.

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