Linkspartei: Sechs-Punkte-Programm für sozialere EU

Klausur in Rostock diskutiert Konsequenzen aus Brexit-Votum / »Zuhör-Initiative« in sozialen Brennpunkten angekündigt / Soli-Kick gegen Volkstheater

  • Lesedauer: 4 Min.

Berlin. Die Linkspartei unterlegt ihre Forderung nach einer sozialen Kurswende in Europa mit einem Sechs-Punkte-Programm. Zum Abschluss einer Klausur des Vorstandes in Rostock sagte der Vorsitzende Bernd Riexinger, die von der Bundesregierung bisher verfolgte Austeritätspolitik sei »jetzt am Ende. Wenn sie so weiter fortgesetzt wird, ist es ein weiterer Sargnagel für die EU«. Immer mehr Leute fühlten sich sozial abgehängt und spürten, dass bislang eine einseitige Politik zugunsten von Reichen gemacht worden sei. In einem Sechs-Punkte-Programm schlägt die Linke konkret ein 100-Milliarden-Euro-Investitionspaket vor.

Die Mittel sollten »in die soziale Daseinsfürsorge für Integration, für die Verbesserung der Lebensbedingungen aller Menschen und für die Bekämpfung der Armut und Ungleichheit« fließen. Um die Mittel für Schulen, Kitas, Krankenhäusern und Wohnraum zusammenzubringen, braucht es nach dem Willen Riexingers drastische steuerliche Umverteilung. »Es führt kein Weg daran vorbei, dass Konzerne, Reiche und Vermögende endlich ihren Beitrag für Investitionen in Europa leisten müssen«, so der Linkenpolitiker - der die Forderung nach Trockenlegung von Steueroasen, nach einer Mindestbesteuerung von Konzernen und einer Vermögensabgabe auf Privatvermögen über einer Millionen Euro erneuerte. Zudem soll die Demokratie in der EU durch mehr Volksabstimmungen gestärkt werden.

Zugleich kritisierten Vertreter der Linkspartei Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, der in der »Welt am Sonntag« zwischenstaatliche Lösungen ins Gespräch gebracht hatte - was als Ansage gegen die EU-Kommission verstanden wurde. Der CDU-Politiker Schäuble sei ein harter Vertreter einer extremen Kürzungspolitik zu Lasten des Sozialstaats, sagte Riexinger. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass Schäuble der Vertreter eines Politikwechsels sein wird, sondern eher eines Vertreters des ‘Weiter so’, vielleicht verbunden mit einem ‘mehr zurück in den Nationalstaat’«.

Zuhör-Initiative und Soli-Fußballspiel

Auf der Klausur hatte es zuvor laut Teilnehmerangaben eine eine mehrstündige Debatte über die Folgen des britischen Brexit-Votums gegeben. Dabei ging auch darum, wie eine Neuausrichtung der Europäischen Union politisch umgesetzt werden kann. In der Linkspartei gibt es unterschiedliche Auffassungen darüber, ob eine alternative Politik innerhalb des bestehenden EU-Rahmens oder nur außerhalb davon möglich ist. Der Vorstand verständigte sich auf eine Stellungnahme zum britischen Brexit-Votum.

Darüber hinaus will die Linkspartei in den kommenden Monaten eine »Zuhör-Initiative« in sozialen Brennpunkten der Gesellschaft starten. Mit Haustürbesuchen und Angeboten zum politischen Engagement will man auf die Leute zugehen. Das Anliegen der Linken sei nicht, hinzugehen und zu sagen »Wählt uns und alles wird gut«, sagte die Vorsitzende Katja Kipping. Eher gehe es darum, zu sagen »Was sind die Probleme und was können wir gemeinsam tun«, so die Linkenpolitikerin.

Bei der noch offenen Wahl von vier weiteren Mitgliedern des geschäftsführenden Parteivorstandes wurden bei der Rostocker Klausur Luise Neuhaus-Wartenberg Ali al Dalami, Christine Buchholz und Anja Mayer bestimmt. Am Samstag war eine Auswahl des Linken-Vorstandes gegen eine Mannschaft des Volkstheaters Rostock angetreten - das Spiel endete nach Neun-Meter-Schießen zugunsten der Kulturschaffenden. Doch um das Ergebnis ging es nicht in erster Linie: Die Begegnung war als Solidaritäts-Spiel gegen Kinderarmut und für Kulturpolitik angesetzt worden.

»Seit Jahren sind in Mecklenburg-Vorpommern viele Menschen von Armut betroffen. Die Armut von Eltern wirkt sich insbesondere auf die Kinder und Jugendlichen aus. Betroffen sind nahezu jedes dritte Kind und jeder dritte Jugendliche«, sagte Linkenchef Bernd Riexinger. »Sie sind damit von der sozialen und gesellschaftlichen Teilhabe ausgeschlossen.« Dem wolle sich die Linkspartei »entschlossen entgegenstellen«. Die Klausur hatte auch einen landespolitischen Hintergrund: Anfang September wird in Mecklenburg-Vorpommern ein neuer Landtag gewählt.

Neun Bausteine für ein anderes Europa

Bereits am Samstag hatten in einem Gastbeitrag für Zeit online die Fraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht und der Europa-Abgeordnete Fabio De Masi »neun Bausteine für ein neues Europa« vorgeschlagen. Die EU stehe »vor der größten Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg«, heißt es darin. »Notwendig sind jetzt neue EU-Verträge und Volksabstimmungen hierüber in allen EU-Mitgliedsstaaten«, so die beiden Linkenpolitiker.

Als Bausteine dafür schlagen sie unter anderem die Verankerung des Prinzips »Gleicher Lohn für gleiche Arbeit« im europäischen Binnenmarkt vor, damit »die Arbeitnehmerfreizügigkeit nicht in Lohndumping mündet und als Bedrohung empfunden wird«. Die umstrittenen Freihandelsabkommen TTIP und Ceta sollen gestoppt, das Wettbewerbsrecht zugunsten einer »zukunftsfähigen Industrie- und Beschäftigungspolitik« eingeschränkt und öffentliches Eigentum sowie die Daseinsvorsorge der Kommunen geschützt werden. Zudem wird die Forderung nach einer Bekämpfung der Steuerflucht von Konzernen durch EU-weite Mindeststeuersätze bei der Körperschaftssteuer erneuert.

Ein weiterer Vorschlag: Der »Stabilitäts- und Wachstumspakt«, der im Grunde die von Berlin aus orchestrierte Austeritätspolitik regelt, soll durch einen Pakt für außenwirtschaftliche Stabilität ersetzt werden - Wagenknecht und De Masi haben dabei das bundesdeutsche Wachstums- und Stabilitätsgesetzes von 1967 vor Augen. So könnten neue Schuldenkrisen in der Eurozone verhindert werden. Nicht zuletzt soll das Investmentbanking vom Einlagen- und Kreditgeschäft der Banken getrennt und Sparkassen sowie Genossenschaftsbanken geschützt werden. tos/mit Agenturen

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