Eine Zeitung demontiert sich selbst

Warum ein Redakteur des Konstanzer Südkuriers geht

  • Holger Reile, Konstanz
  • Lesedauer: 3 Min.

Es sind keine guten Tage für den Konstanzer Südkurier: Mit ihrer Vorgehensweise in der Personalie Michael Lünstroth haben Chefredakteur Stefan Lutz und Lokalchef und Regionalleiter Jörg-Peter Rau dem Blatt nach Ansicht vieler Beobachter einen schweren Imageschaden zugefügt. Der Redakteur Lünstroth war mit einem Schreibverbot und einer Abmahnung belegt worden, weil er angeblich bei der Berichterstattung über das Konstanzer Scala-Kino seine »Sorgfaltspflicht« verletzt haben soll. In kritischen Texten hatte er der Konstanzer Rathausspitze vorgeworfen, sich zu wenig gegen die drohende Schließung des beliebten Kinos in der Innenstadt gewehrt zu haben.

Bundesweit wird seit Wochen über den Presseskandal am Bodensee und den massiven Glaubwürdigkeitsverlust der Tageszeitung vor Ort berichtet. Vor einigen Tagen zog auch der SWR nach und berichtete in der Landesschau über den Fall. Nun hat der langjährige Lokalreporter seine Kündigung eingereicht.

Vor allem Chefredakteur Lutz hat die Situation falsch eingeschätzt. Er ging davon aus, die Berichterstattung auf der Konstanzer Internetplattform www.seemoz.de über die Sanktionen gegen den Lokaljournalisten würde nur wenige Interessierte erreichen und könne somit getrost vernachlässigt werden. Doch das Gegenteil trat ein: Die Zeitung Kontext aus Stuttgart übernahm das Thema, transportierte es weit über die baden-württembergischen Grenzen hinaus und viele andere schlossen sich an. Der allgemeine Presse-Tenor war und ist vernichtend. Der Südkurier, so die Einschätzung fast aller Medien, habe im eigenen Haus die Presse- und Meinungsfreiheit untergraben und sich somit unglaubwürdig gemacht. Der Südkurier hat bislang mit keinem Wort über die Affäre im eigenen Haus berichtet.

Das Schreibverbot für Michael Lünstroth wurde Mitte Juni aufgehoben, die Abmahnung aber nicht. Dabei wurde der im Nachhinein beanstandete Text dem Vernehmen nach von einem erfahrenen Desktop-Redakteur gegengelesen und abgesegnet. Grund genug also, die offensichtlich zu Unrecht verhängte Abmahnung auf der Stelle zurückzunehmen, forderten immer mehr Südkurier-Leser und Leserinnen in Protestschreiben an die Chefredaktion. Im Raum steht noch die Behauptung, der Konstanzer CDU-Oberbürgermeister Uli Burchardt habe wegen Lünstroths Berichterstattung an oberster Stelle beim Südkurier interveniert. Eine Interviewanfrage des SWR lehnte Burchardt ab.

Auffallend das Verhalten des Südkurier-Betriebsrats: Vor zwei Wochen erklärte die Gesamtbetriebsratsvorsitzende Birgit Orlowski auf Anfrage, dass man in Absprache mit der Geschäftsführung zum Fall Lünstroth »absolutes Stillschweigen« vereinbart habe. Das gilt wohl weiterhin und somit werden nicht nur in Gewerkschaftskreisen unweigerlich die Fragen lauter: Wozu braucht man dann noch einen Betriebsrat und warum hat es von dessen Seite nicht wenigstens eine Solidaritätserklärung für den beliebten Kollegen gegeben?

Vergangenen Mittwoch gab es erneut eine Betriebsversammlung im Hause Südkurier, Chefredakteur Lutz verteidigte seinen harten Kurs gegenüber dem langjährigen Redakteur. Die ganze Debatte, so berichten Beteiligte, sei laut Lutz »von außen« gelenkt und gesteuert worden, um dem Medienhaus Südkurier Schaden zuzufügen. Daraufhin hat Lünstroth seinen Vertrag auf Ende September gekündigt. Doch damit ist nach Ansicht vieler Beobachter das Thema längst nicht vom Tisch.

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