Ein Baudenkmal der Korruption

Der fünfte Teil der Dokumentationsfilmreihe »Count Down am Xingu« zeigt die Auswirkungen des Staudammprojektes Belo Monte in Brasilien

  • Thilo F. Papacek
  • Lesedauer: 3 Min.
Der fünfte Teil der Dokumentarfilmreihe »Count Down am Xingu« beleuchtet die Zusammenhänge zwischen dem Bau des drittgrößten Wasserkraftwerks der Welt und der aktuellen Politikkrise in Brasilien.

»Früher ging hier der Mond über dem Wald auf.« Jetzt erscheine es ihr, als ob der Mond nackt sei, wenn er aufgehe. Antônia Mello steht auf einer Insel des Xingu, einem Zufluss des Amazonas, im brasilianischen Bundesstaat Para. Die Insel und die umliegende Gegend sind gerodet worden, denn sie werden bald überflutet. Während Antônia erzählt, wie es hier vorher aussah, kämpft sie mit den Tränen.

Flussabwärts steht die Stauanlage von Pimental kurz vor der Fertigstellung. Sie gehört zum Komplex Belo Monte, das zum drittgrößten Wasserkraftwerk der Erde wird. Bereits während der Dreharbeiten, die im Januar stattfanden, stieg der Wasserspiegel des Xingu vor dem Kraftwerk.

Der Bau der riesenhaften Anlage hat noch zahlreiche andere Auswirkungen: »Aus einem Fluss wird hier ein stehendes Gewässer«, erklärt Antônia. Die Folgen sind vielfältig: Eine Stechmückenplage terrorisiert die umliegenden Gemeinden, Fische sterben, die Fischer verlieren ihr Einkommen, indigene Gemeinden, die traditionell vom Fischfang lebten, werden nun zu Bauern. In der nächsten größeren Stadt, Altamira, steigt die Kriminalität, denn Zehntausende Arbeiter, die an den Baustellen beschäftigt waren, sind arbeitslos in der Amazonasregion gestrandet.

Im fünften Teil der Dokumentationsfilmreihe »Count Down am Xingu« zeigt der Filmemacher Martin Keßler die Auswirkungen des umstrittenen Großprojektes kurz vor der Fertigstellung. Seit 2009 verfolgen Keßler und sein Team mit der Kamera die Bauarbeiten zu Belo Monte und die Konsequenzen für Menschen und Umwelt. Im fünften Teil zeigen sich besonders deutlich die Vorteile, die die Langzeitbeobachtung bietet: Wo andere Journalisten nur für wenige Wochen weilen und so notwendigerweise nur an der Oberfläche kratzen, kann Keßler in die Tiefe gehen und die aktuelle Situation mit früheren Aufnahmen kontrastieren.

Leider trüben diese große Leistung Keßlers und seines Teams einige leicht vermeidbare Fehler, die sich in den Film geschlichen haben. So heißt es an einer Stelle, Belo Monte würde »etwa 11 200 Megawatt Energie im Jahr« produzieren. Doch diese Zahl bezieht sich auf die potenzielle Leistung des Kraftwerks und nicht auf die produzierte Energiemenge: Die soll bei Belo Monte laut Betreibergesellschaft in einem Jahr durchschnittlich bei 38 Millionen Megawattstunden liegen. Hier hätte es Keßler und seinem Team gut angestanden, sich mit den Grundlagen der Energieerzeugung besser zu befassen: Zu gerne verweisen die Befürworter solcher Großprojekte darauf, dass ihre Gegner nichts von der Materie verstünden. Solche einfachen Fehler sind Wasser auf deren Mühlen.

Doch diese kleinen Makel sollten nicht den Blick darauf verstellen, dass hier eine sehr wichtige Dokumentarleistung erbracht wurde. Im Fokus stehen eben nicht die technischen Details des megalomanischen Projektes, sondern die Folgen für Menschen und Umwelt in der Region.

Und diese Folgen sind dramatisch, das wird deutlich, wo immer Keßler und sein Team ihre Kamera hinhalten. Die Frage stellt sich, warum dieses Kraftwerk überhaupt gebaut wurde, wenn nur Baufirmen und Betreibergesellschaft profitieren? Schließlich wurden zahlreiche Gesetze übergangen, um das Megaprojekt möglich zu machen. In der Antwort liegt die aktuelle politische Krise Brasiliens mitbegründet: Korruption. Ohne die Millionenzahlungen von Bauunternehmen wie Odebrecht hätten Regierung, Abgeordnete und Gerichte Belo Monte nicht gegen jeden Widerstand durchdrücken können. Wegen der Unzufriedenheit der Bevölkerung wurde Präsidentin Dilma Rousseff als Bauernopfer der korrupten Elite geopfert und abgesetzt. Die neue Regierung steckt so tief mit der Industrie unter einer Decke, dass wohl eher noch mehr mörderische Großprojekte zu erwarten sind. Doch auch am Tapajós, wo das nächste Wasserkraftwerk geplant ist, regt sich schon der Widerstand der Bevölkerung.

Film und Diskussion Berlin Premiere: Count Down am Xingu V, 12. Juli, 20 Uhr, Babylon, Rosa-Luxemburg-Str. 30, 10178 Berlin Mit: Martin Keßler, Regisseur, weitere Informationen: www.neuewut.de

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