Ungleichheit schadet dem Wohlstand

Neue Studie versucht Lebensstandard zu messen

  • Simon Poelchau
  • Lesedauer: 2 Min.
Ökonomen halten das BIP als Messgröße für die wirtschaftliche Lage nur noch bedingt für aussagekräftig. Nun haben Forscher versucht, den Wohlstand umfassender zu messen.

2009 war das Krisenjahr schlechthin. Damals schlug die Finanz- in eine Wirtschaftskrise um. In Deutschland fiel das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um fünf Prozent. Es war die stärkste Rezession der Nachkriegsgeschichte. Doch der allgemeinen Wohlfahrt im Land, dem Lebensstandard, schadete dies offenbar nicht. Er stieg sogar leicht, wie eine am Mittwoch veröffentlichte Studie des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) zeigt.

Für die Studie ließ das IMK von einem Team um den Heidelberger Forscher Hans Diefenbacher den sogenannten Nationalen Wohlfahrtsindex (NWI) berechnen und dessen Entwicklung mit der des BIP vergleichen. 20 Indikatoren vom privaten Konsum über Ungleichheit bis zur Luftverschmutzung flossen dabei in den NWI ein. »Wir wollten die konventionellen Messgrößen damit zumindest ergänzen«, erklärt IMK-Chef Gustav A. Horn den Sinn und Zweck dieser Debatte.

Denn mittlerweile kommt man unter den Ökonomen immer mehr zu der Einsicht, dass das BIP als einzige Größe zur Messung der Wirtschaftsleistung nicht mehr ausreicht. Es misst etwa nicht die soziale Ungleichheit im Lande oder die Umweltzerstörung und Ressourcenverschwendung. In der vergangen Legislaturperiode wurde deswegen im Bundestag eine Enquetekommission ins Leben gerufen, die einen neuen Indikator entwickeln sollte. Heraus kam ein relativ unübersichtliches Zahlenspiel, das jedoch nichts mit dem NWI zu tun hat.

Anders das Ergebnis der IMK-Studie: Obwohl die Wirtschaftsleistung von 1991 bis 2014 um 30 Prozent zulegte, lag der gesamtwirtschaftliche Wohlstand zuletzt nur gut vier Prozent höher als vor 25 Jahren. Denn der deutliche Anstieg der Einkommensungleichheit in den 2000er Jahren führte dazu, dass weniger vom Wirtschaftswachstum in der Masse der Gesellschaft ankam.

Dies machen die Forscher vor allem an dem sogenannten gewichteten Konsum fest, der »Schlüsselgröße« im NWI, wie Horn sagt. Die Theorie dahinter: 100 Euro mehr zum Ausgeben bringen einem armen Haushalt mehr an Nutzen als einem reichen. So kann es kommen, dass der Wohlstand nicht steigt, obwohl mehr ausgegeben wird, weil das Geld nur noch bei den Reichen ankommt, denen es wiederum weniger bringt als den Armen.

Andersherum hat dies verhindert, dass der Wohlstand 2009 gleich schnell zurückging wie das BIP. Damals sank der gewichtete Konsum nämlich nur um acht Milliarden Euro. Gleichzeitig fielen die negativen Umweltauswirkungen um monetarisierte 21 Milliarden Euro. Alle 20 Indikatoren zusammen gerechnet stieg der Lebensstandard damals sogar um sechs Milliarden Euro.

2014 indes ist für die Forscher ein wahrer Lichtblick. Der NWI stieg da schneller als das BIP. Ein größerer Konsum auf Grund von höheren Löhnen und niedrigere Energiekosten machten dies möglich.

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