Neuer Triumph für Darwin

Wissenschaftler entdecken gemeinsamen Ursprung von Haaren, Schuppen und Federn. Von Martin Koch

  • Martin Koch
  • Lesedauer: 5 Min.

Der anatomische Aufbau und das gesamte Design der Vogelfedern sind so komplex, dass dieses Phänomen niemals als Resultat eines Evolutionsprozesses erklärt werden kann«, schreibt der türkische Kreationist Harun Yahya in seinem Buch »Der widerlegte Darwinismus«, in dem es auch heißt, dass allein aufgrund der Federn der Vögel zwischen diesen und den Reptilien eine unüberbrückbare Kluft bestehe. »Die Körper der Reptilien sind mit Schuppen bedeckt, die der Vögel mit Federn. Die Hypothese, dass Vogelfedern sich aus Reptilienschuppen entwickelt hätten, ist völlig unbegründet und wird durch den Fossilienbestand widerlegt.« Zur Bekräftigung seiner These zitiert Yahya den US-amerikanischen Evolutionsbiologen Alan Brush, der 1996 feststellte: »Jedes einzelne Merkmal, von der Genstruktur und Genorganisation bis hin zum Gewebeaufbau, ist bei Federn und Schuppen unterschiedlich.«

In seinem Feldzug gegen die Evolutionstheorie glaubt Yahya sich selbst auf Charles Darwin berufen zu können, der sich in einem Brief an den Botaniker Asa Gray im April 1860 wie folgt äußerte: »Ich kann mich gut an die Zeit erinnern, als der Gedanke an das Auge mich frösteln ließ, aber ich bin über dieses Stadium der Beschwerden hinweg.« Zur Erläuterung: In seinem 1859 erschienenen Hauptwerk »Die Entstehung der Arten« hatte Darwin die Vorstellung, dass sich ein so perfektes Organ wie das Auge allein durch das Wirken der natürlichen Selektion entwickelt habe, als absurd bezeichnet. Dies tat er nun offenkundig nicht mehr, gestand aber ein, dass ihm so manch andere strukturelle Gegebenheit schwer zusetze. »Der Anblick einer Pfauenschwanzfeder macht mich jedes Mal krank!«

Im Grunde war Darwin hier mit dem Problem beschäftigt, wie sich das farbenprächtige Federkleid des Pfauenmännchens, ein energetisch kostspieliges und eher hinderliches Gebilde, in der Evolution überhaupt hat durchsetzen können. Zur Erklärung postulierte er 1871 das Prinzip der sexuellen Selektion, demzufolge die Nachteile, die manches Merkmal im Überlebenskampf hat, durch die Vorteile, die es bei der Partnersuche bietet, aufgewogen werden.

Die Frage, wie sich die Federn des Pfaus und anderer Vögel physiologisch entwickeln konnten, ist damit freilich nicht beantwortet. Kreatonisten wittern hier ihre Chance, indem sie behaupten, dass das filigrane Design der Federn auf eine außernatürliche Schöpfung hindeute. »Bisher wurde kein epidermes Gewebe entdeckt, welches ein Ausgangspunkt für Vogelfedern hätte sein können«, so Harun Yahya.

In der Tat ist es erheblich schwieriger, die Herkunft einer völlig neuartigen biologischen Struktur zu erklären als Ab- und Umwandlungen bereits vorhandener Organe begreiflich zu machen. Im Fall der Herausbildung der Vogelfedern gibt es zwei grundsätzliche Modelle. Laut dem ersten haben sich die Federn aus den Schuppen von Reptilien entwickelt, die sich dabei verlängerten und am Rand zu Ästen ausfransten. Federn und Schuppen, die beide aus dem Keratin abgestorbener Hautzellen bestehen, wären demnach homologe Hautanhangsgebilde. Homolog bedeutet hier, dass beide Strukturen einen gemeinsamen evolutionären Ursprung haben. Genau das wird im zweiten Modell bestritten. Danach sind die Vogelfedern das Resultat einer eigenständigen Entwicklung. »Anders als Reptilienschuppen, die sich aus Hautfalten bilden, erhebt sich die Feder aus einer röhrenförmigen Hauteinsenkung«, schreiben die US-Biologen Alan Brush und Richard Prum. »Zunächst wächst daraus ein runder, oben geschlossener Hohlstab, der sich zu den verschiedenen Federtypen ausdifferenziert. Federn sind also nicht abgewandelte Schuppen, sondern zunächst Röhren.«

In den letzten Jahren haben sich viele Evolutionsforscher der zweiten Auffassung angeschlossen. Dies könnte sich jedoch als Irrtum herausstellen. Denn aus einer neuen genetischen Untersuchung folgt, dass sich Vogelfedern, Reptilienschuppen und Säugetierhaare auf einen gemeinsamen Urtyp zurückführen lassen. Zumindest weisen die drei Hautanhangsgebilde im frühen Stadium ihrer Entwicklung »identische molekulare und mikroanatomische Merkmale« auf, wie Nicolas Di-Poï und Michel Milinkovitch von der Universität Genf im Fachjournal »Science Advances« (DOI: 10.1126/sciadv. 1600708) berichten.

Unbestritten ist, dass Federn und Säugetierhaare in der Embryonalentwicklung aus einer sehr ähnlichen Struktur hervorgehen: einer als Plakode bezeichneten örtlichen Verdickung der Epidermis aus Drüsenzellen. Da Vögel und Säugetiere jedoch von verschiedenen Reptilienlinien abstammen, liegt der Schluss nahe, dass beide Tiergruppen unabhängig voneinander Plakoden entwickelt haben. Bei Reptilien waren Plakoden bis vor kurzem sogar unbekannt.

Erst im Jahr 2015 konnten Wissenschaftler der Yale University (USA) den Nachweis führen, dass sich Reptilienschuppen, Haare und Federn während ihrer Entwicklung in mehreren Merkmalen gleichen. Die Genfer Forscher knüpften hier an und zeigten, dass diese Übereinstimmung kein Zufall ist. In ihrer Studie untersuchten sie Embryos von Krokodilen, Schlangen und Bartagamen, einer Echsengattung, die nur in Australien vorkommt. Dabei identifizierten sie neue molekulare Merkmale bei Reptilien, die identisch sind mit denjenigen, die man bei der Entwicklung von Haaren und Federn findet. Oder anders ausgedrückt: Die neu entdeckten Plakoden von Reptilien stimmen mit den Plakoden von Säugetieren und Vögeln überein. »Das deutet darauf hin, dass die drei Typen von Hautanhangsgebilden homolog sind«, resümieren Di-Poï und Milinkovitch. »Reptilienschuppen, Vogelfedern und Säugetierhaare haben sich trotz ihres letztlich so unterschiedlichen Aussehens aus der Schuppe eines gemeinsamen Reptilienvorfahren entwickelt.«

Nach wie vor unklar ist, wozu Federn ursprünglich taugten. Die These, dass sie sich eigens zum Zweck des Fliegens herausgebildet hätten, gilt als überholt. Denn dafür reichten ihre aerodynamischen Eigenschaften anfangs nicht aus. Vermutlich regulierten sie zunächst den Wärmehaushalt ihrer Träger. Bereits bei den Dinosauriern verfügten die Tiere mancher Arten über einen weichen Federflaum, der sie vor Kälte schützte. Außerdem dürfte das Federkleid den Urvögeln zur Balz und Tarnung gedient haben. Erst im Verlauf der Evolution wurde offenbar, dass Federn sich auch für eine Tätigkeit eignen, die für ihre Träger primär gar nicht »vorgesehen« war: Fliegen. Die Urahnen der Vögel, die vor über 130 Millionen Jahren lebten, könnten dabei zunächst von Bäumen oder Anhöhen herabgeglitten sein. Denkbar wäre aber auch, dass sie sich aus dem Laufen heraus flügelschlagend in die Luft erhoben. Was wirklich geschah, wird wohl für immer ein Rätsel bleiben. Nur so viel ist sicher: Die meisten Vögel haben ihre evolutionären Chancen genutzt und sich zu perfekten Fliegern entwickelt.

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