Reflexive Koedukation

Bildungsrauschen

  • Lena Tietgen
  • Lesedauer: 2 Min.

Die Sportwissenschaft gilt als ein ausdifferenziertes interdisziplinäres Fach. Ihr Ursprung liegt in der Renaissance; Ende des 19. Jahrhunderts wurde sie zur eigenständigen Disziplin. Der Sportunterricht geht indes auf die Antike zurück, wo die exercitia (Englisch: excercises, im Deutschen: Leibesübungen) der Erziehung des freien Mannes dienten. Im Mittelalter galt der Sportunterricht noch der ritterlichen Ausbildung, wurde dann aber mit der Französischen Revolution »integraler Bestandteil einer vernunftgemäßen, ganzheitlichen Erziehung (Bildung, körperliche Vervollkommnung, Glück)«, wie das Online-Lexikon Wikipedia schreibt. In Deutschland gilt Friedrich Ludwig Jahn (1778-1852) als Begründer der »deutschen Turnkunst«, die sich die Herausbildung von »Körper und Charakter der (männlichen) Jugend und des Volkes« zur Stärkung der »physischen und moralische Kraft« zum Ziel gesetzt hat (wikipedia.de).

Der Sportwissenschaftler Georg Wydra bevorzugt heute eine moderne Umschreibung, er spricht von »Bewegungs-, Spiel- und Sporterziehung« (sportpaedagogik-sb.de). Anthropologisch gesehen sei der Mensch ein kulturelles Wesen, folglich sei auch die Bewegung kulturell zu verstehen. Entsprechend müsse der Unterricht das Ziel verfolgen, Schüler »über die Entwicklung einer entsprechenden Lebenshaltung für eine lebenslang anhaltende Bewegungsfreude« zu motivieren. Dabei müsse das »Prinzip einer vielseitigen Bewegungskultur, der ökologischen Perspektive, der kulturellen Globalisierung und das Prinzip der Anstrengung« berücksichtigt werden. Diese grundsätzlichen Ziele umfassen beide Geschlechter und sollen vor allem einer Entfremdung und Diskriminierung entgegenwirken.

In den 1970er Jahren musste man in der alten Bundesrepublik zunächst noch ein ganz anderes Ziel verfolgen. Damals sollte die »Gleichbehandlung und Gleichberechtigung der Geschlechter« durch Koedukation nicht nur im Sportunterricht umgesetzt werden, konstatiert die Sportwissenschaftlerin Claudia Kugelmann auf sportpaedagogik-online.de. »Gerade bei Sport, Spiel und Bewegung könnten sich die Geschlechter in unverfänglicher Weise auch leiblich begegnen und kennenlernen«. »Jungen und Mädchen wurden ganz selbstverständlich je spezifische Inhalte, Ziele, Räume, Anforderungen im Fach Leibeserziehung zugewiesen«, so Kugelmann.

Vor dem Hintergrund einer gemeinsamen Zielsetzung wird in den letzten Jahren der Gedanke der reflexiven Koedukation gestärkt. Jungen und Mädchen sollen nach Bedarf gemeinsam oder getrennt unterrichtet werden. Für schulsport-nrw.de handelt es sich um ein Gestaltungsprinzip, das das bestehende Geschlechterverhältnis kritisch hinterfragt und zu Änderungen anregt. »Leitende Zielvorstellung« sei es, »die Entwicklung von Mädchen und Jungen umfassend und gleichwertig über die Grenzen der einengenden Geschlechtsstereotype in der Vielfalt der Körper-, Bewegungs- und Sportkultur zu fördern«. Lena Tietgen

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