Eine Klagemauer, die empört

Nach dem Tod des Aktionskünstlers Walter Herrmann wird in Köln erneut über den Vorwurf des Antisemitismus gestritten

  • Roland Kaufhold
  • Lesedauer: 3 Min.

Die angebliche Mahnwache des Herrn Herrmann bestand aus agitatorischen Vorwürfen gegen den Staat Israel, den er als einzigen Schuldigen für die Situation im Nahen Osten ausgemacht hatte und den er abgründig in seiner antisemitischen Haltung hasste.« Mit diesen Worten protestierte Ulrich Soénius, Vorsitzender des Kölner Kuratoriums der Stiftung Stadtgedächtnis, unlängst scharf gegen den Vorschlag, die aus geschätzt 70 000 Papptafeln bestehende »Klagemauer«, die der Ende Juni 76-jährig verstorbene politische Aktionskünstler Walter Herrmann in den vergangenen 35 Jahren mit wechselnden Motiven und Botschaften in der Kölner Innenstadt aufgestellt hatte, dem Kölnischen Stadtmuseum zu überlassen. Der Kölner Bundestagsabgeordnete Volker Beck wandte sich ebenfalls gegen das Vorhaben: Mit der Aufstellung der »Klagemauer« werde »der Streit über den Tod hinaus wiederbelebt«.

Der, um den es hier geht, sorgte immer wieder für politischen Zündstoff. In den 1980er Jahren errichtete Walter Herrmann seine erste »Klagemauer zur Wohnungsnot«, nachdem er durch eine Zwangsräumung seine Bleibe verloren hatte. Mit dem gleichen Konzept protestierte er Jahre später gegen den zweiten Golfkrieg, wofür er 1998 zusammen mit anderen an der Aktion Beteiligten den Aachener Friedenspreis erhielt. Ab 2005 widmete er sich inhaltlich dem palästinensisch-israelischen Konflikt. In die Kritik geriet er, als er 2010 die Karikatur eines Juden zeigte, der mit Gabel und Messer ein auf einem Teller liegendes palästinensisches Kind zerteilt und aufisst.

Nun erleben diese antisemitischen Inszenierungen posthum ein spaltendes Fortleben: Unmittelbar nach Herrmanns Tod schlug der katholische Pfarrer Franz Meurer vor, dass Herrmanns Papptafeln mit dem Fokus der Israeldämonisierung vom Kölnischen Stadtmuseum als Schenkung übernommen werden sollen. Der Direktor des Stadtmuseums, Mario Kramp, wollte den Vorschlag nicht gänzlich ausschlagen: Auch wenn deren Inhalt äußerst problematisch sei, seien die Tafeln doch »Teil der Kölner Stadtgeschichte«. Und das Historische Archiv der Stadt Köln teilte seine Bereitschaft mit, »nach dem Zufallsprinzip drei Kartons zu übernehmen.«

Die Mehrzahl der Kölner Parteien lehnt das allerdings strikt ab: »Das Zeug gehört in die Tonne«, meinen CDU und Grüne; ähnlich äußerte sich die SPD: »Antisemitismus und Rassismus gehören auf den Müll«. Die Kölner Linkspartei hat noch keinen Beschluss hierzu gefasst. Der Fraktionsvorsitzende der Partei im Kölner Rat, Jörg Detjen, sprach auf Anfrage von einer »typisch Kölner Diskussion«. Politik wolle »Historikern und Museen vorschreiben, was sie zu sammeln haben«. Vielleicht würden »diese Tafeln ja mal in einem ganz anderen Zusammenhang ausgestellt, als wir uns das heute vorstellen können? Vielleicht stauben sie ein, wenn Israeli und Palästinenser in einem oder zwei Staaten friedlich zusammenleben.«

Franz Meurer hatte Herrmann in dessen letzten Lebenswochen seelsorgerisch begleitet und bei der Beisetzung Herrmanns auch Teile der »Klagemauer«-Installation ausgestellt. Der Kölner Schriftsteller Peter Finkelgruen zeigt sich »entsetzt« über diese Geschichtslosigkeit: Vielleicht »unterscheide sich« dieser Pfarrer »nicht von jenen Jesuiten, die es 1942 in Shanghai ablehnten, mich als Kleinkind vor den Nazis zu schützen«.

Auch Jürgen Wilhelm von der Kölnischen Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit zeigte sich »erstaunt und erschreckt zugleich«: Herrmanns »feindselige aggressive Hetze« nun in ein steuerfinanziertes Museum aufzunehmen, sei eine »dramatische Fehlbeurteilung« ihres kulturellen Auftrages. Daraufhin ruderte Franz Meurer zurück: »Wenn Walter Herrmann zu Lebzeiten mit seinen Anti-Israel-Parolen vor meiner Kirche gestanden hätte, hätte ich ihn dort weggejagt«, betonte der Geistliche. Er sei kein Politiker und kein Archivar. Deshalb schlage er »einen runden Tisch« vor, der die kontroverse Frage besprechen solle. Ein Vorschlag, der sowohl von Volker Beck als auch von Ulrich Soénius, Peter Finkelgruen und Jürgen Wilhelm abgelehnt wird. Wenn überhaupt ein Museum in Betracht komme, so Wilhelm, dann das städtische NS-Dokumentationszentrum, das sogenannte EL-DE Haus. Dort wären die Tafeln »in bester Gesellschaft«.

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