Werbung

Özdemir: Türkei-Flüchtlingsdeal für politisch Verfolgte

Deutsche Politiker streiten über das Verhältnis zur Türkei - EU-Beitritt und Flüchtlingsvertrag stehen zur Debatte

  • Josephine Schulz
  • Lesedauer: 3 Min.

Nach dem gescheiterten Putschversuch nehmen die Repressionen durch Staatspräsident Erdogan täglich zu. In Deutschland wird daher über die künftige Zusammenarbeit mit der Türkei diskutiert. Zur Ausrufung des Notstandes in dem Land sagte Regierungssprecher Seibert, diese Möglichkeit sei in der türkischen Verfassung vorgesehen. Vordringlicher sei, »dass Rechtsstaatlichkeit und Verhältnismäßigkeit in dieser Zeit beachtet werden«. Auch die mit dem Notstand verbundene Aussetzung der Anwendung der Europäischen Menschenrechtskonvention durch die Türkei sei nach diesem Abkommen zulässig, »soweit es die Lage unbedingt erfordert«. Auf keinen Fall dürfe aber vom Verbot der Folter sowie vom Verbot der Strafverfolgung ohne rechtliche Grundlage abgewichen werden, so der Regierungssprecher.

Die Bundesregierung hält es angesichts des Vorgehens der türkischen Regierung aber für undenkbar, in den EU-Beitrittsverhandlungen mit Ankara neue Kapitel zu eröffnen. Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) forderte einen sofortigen Abbruch der Beitrittsverhandlungen. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan habe in wenigen Tagen fast 50 000 Menschen aus Militär, Justiz und Hochschulen aus dem Verkehr gezogen. Mittlerweile sei die Türkei »kein demokratischer Rechtsstaat« mehr, so Seehofer. Im Zuge der Beitrittverhandlungen erhält das Land auch finanzielle Zuwendungen in Milliardenhöhe. Der Bundestagsvizepräsident Johannes Singhammer (CSU) bezeichnete diese Heranführungshilfen in der »Süddeutschen Zeitung« als Hohn und forderte das sofortige Einfrieren der Zahlungen. Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz, hält das für wenig zielführend. »Jetzt alles zu streichen, was irgendwelche Annäherung bringt, ich bin mir nicht sicher, dass das hilft.«

Nach Einschätzung von Jens Gnisa, Vorsitzender des Deutschen Richterbundes, sollte nicht nur die EU-Assoziierung sondern auch der Flüchtlingsvertrag mit der Türkei hinterfragt werden. Gnisa forderte von der Bundesregierung eine deutlichere Positionierung. Die EU-Kommission sieht die Türkei trotz der Krise bis auf weiteres für Flüchtlinge grundsätzlich als sicher an. Die Türkei beherberge derzeit fast drei Millionen syrischer Flüchtlinge und es gebe »keine Anzeichen, dass ihre Behandlung nicht korrekt ist«, sagte Chefsprecher Margaritis Schinas. Die hessische LINKE fordert indes die sofortige Aufkündigung des Flüchtlingsdeals sowie den Abzug der Bundeswehr. Die Bundesregierung habe Erdogan durch den Flüchtlingsdeal zu immer extremerem Vorgehen regelrecht ermutigt.

Grünen-Chef Cem Özdemir drängt auf ein Programm für die Aufnahme von Türken, denen in der Türkei politische Verfolgung droht. »Nach dem Flüchtlingsabkommen mit Ankara müsste die deutsche Regierung jetzt eigentlich ein Programm auflegen für Künstler, Journalisten und Wissenschaftler, das ihnen die Möglichkeit gibt, in Europa einen Platz zu finden«, sagte Özdemir der »Stuttgarter Zeitung«. Die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl erwartet, dass die Zahl der Asylsuchenden aus der Türkei bald deutlich ansteigt. Vor allem zahlreiche Intellektuelle und Wissenschaftler suchten sich bei andauernden Repressalien eine Zukunft im Ausland, so der stellvertretende Geschäftsführer Bernd Mesovic. »Die Entlassungen und Verfolgungen bedeuten für viele praktisch eine Existenzvernichtung.« Mit Agenturen

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal