Linke »sehr verärgert« über Wagenknecht

Kritik an Äußerungen der Fraktionsvorsitzenden hält an / Van Aken: Rückhalt der Politikerin in Fragen der Asylpolitik »sehr, sehr gering«

  • Lesedauer: 7 Min.

Berlin. In der Diskussion um die Äußerungen von Linksfraktionschefin Sahra Wagenknecht zum Anschlag von Ansbach hält die Kritik aus den eigenen Reihen an - nicht zuletzt vom linken Flügel der Partei. Die Innenexpertin und Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke sagte, »wer die Gewalttaten mit der Flüchtlingspolitik in Zusammenhang bringt, bedient rechte Forderungen und Positionen«. Die auch in Asylfragen engagierte Politikerin sagte gegenüber ntv, sie habe sich über Wagenknechts Worte »sehr geärgert«. Die hessische Linksfraktionschefin Janine Wissler, die ebenfalls dem sich als links ansehenden Flügel der Partei zugerechnet wird, nannte es im Hessischen Rundfunk »grundfalsch«, nun die Willkommenskultur infrage zu stellen.

Wagenknecht hatte am Montag – nach dem Selbstmordanschlag von Ansbach - erklärt, »dass die Aufnahme und Integration einer großen Zahl von Flüchtlingen und Zuwanderern mit erheblichen Problemen verbunden und schwieriger ist, als Merkels leichtfertiges ‘Wir schaffen das’ uns im letzten Herbst einreden wollte«. Auf ihrer Facebook-Seite räumte sie am Dienstag ein, dass ihre Stellungnahme »offenbar zu Missverständnissen geführt« habe. Sie habe weder die Aufnahme von Flüchtlingen kritisieren noch alle in Deutschland lebenden Flüchtlinge unter Generalverdacht stellen wollen.

Wagenknecht löst parteiintern Empörung aus
Linkenpolitiker kritisieren Äußerungen der Fraktionschefin zu Gewalttaten und Flüchtlingspolitik

Zu diesem Zeitpunkt war der Unmut über die Äußerungen Wagenknechts aber schon so groß, dass sogar Rücktrittsforderungen die Runde machten. Der Bundestagsabgeordnete und Außenexperte Jan van Aken legte ihr den Rücktritt vom Fraktionsvorsitz nahe. Da sie in zentralen Fragen »wissentlich das Gegenteil der Parteiposition« vertrete, sollte sie das Amt zur Verfügung stellen. Es sei »gerade in der jetzigen Zeit ganz gefährlich«, so van Aken gegenüber ntv, Flüchtlinge unter Generalverdacht zu stellen. Auch glaube er, »dass Sahra Wagenknecht manchmal einen eher nationalistischen Blick auf Dinge hat, als es der Rest der Linken hat«. Ihr Rückhalt sei diesbezüglich »sehr, sehr gering«, so der frühere Partei- und Fraktionsvize.

Nicht zum ersten Mal Ärger über Wagenknecht

Die Diskussion über die Pressemitteilung Wagenknechts ist auch deshalb so heftig, weil sich viele Linken-Politiker abermals von einer Äußerung der Fraktionsvorsitzenden düpiert sehen - mehrfach schon waren ihre Erklärungen als Übertretung des innerparteilichen Konsenses etwa in Fragen der Asylpolitik kritisiert worden. Auch wurde Wagenknecht vorgeworfen, mit ihrer Rhetorik an eher rechts orientierte Wählerschichten anschließen zu wollen.

Am Dienstag hatte Linksfraktionschef Dietmar Bartsch erklärt, er begrüße Wagenknechts »Richtigstellung«, habe ihr jedoch seine Kritik »zuvor persönlich und deutlich übermittelt«. Den in der Partei laut gewordenen Rücktrittsforderungen wollte sich Bartsch nicht anschließen. Auch Jelpke sagte nun, »Gregor Gysi hat auch oft Positionen zu Themen wie Krieg und Frieden gehabt, bei denen er nicht unsere Programmatik vertreten hat«. In vier Wochen trifft sich die Fraktion zur Klausur, dann dürfte das Thema abermals auf den Tisch kommen.

Bei der Parteiströmung Antikapitalistische Linke, die früher einmal von Wagenknecht mit aus der Taufe gehoben worden war, hieß es am Dienstag, die Äußerungen der Fraktionsvorsitzenden dürften »nicht unwidersprochen bleiben«, da sie »in keiner Weise den Positionen der Partei« entsprechen würden. »Die Assoziationen«, die Wagenknecht in ihrer Presseerklärung habe anklingen lassen, also Sicherheitsprobleme und Zuwanderung hingen zusammen, weise man zurück. Dies gelte auch für den Ruf nach mehr Staat und Sicherheitsbehörden. Dies seien »keine linken Positionen, sondern Wasser auf die Mühlen der Rechten. Hier wurden eindeutig Untergrenzen der linken Politik unterschritten«, so die Antikapitalistische Linke - die im Übrigen auch Wagenknechts Richtigstellung kritisierte. Die »grundfalschen Positionen werden von ihr nicht zurück genommen.«

Linke macht den Unterschied – oder es braucht sie nicht

Zuvor hatte der Außenpolitiker und Parteivize Tobias Pflüger, der auch dem linken Parteispektrum zuzurechnen ist, erklärt, »die Herstellung eines direkten Zusammenhanges dieser Amokläufe mit der Flüchtlingspolitik von Merkel ist schlicht nicht zutreffend«. Es sei auch »explizit nicht Aufgabe von Linken, zu fordern, zu überprüfen, wer sich im Lande befindet«. Ohne Wagenknecht direkt anzusprechen, sagte Pflüger, die Linkspartei »macht den Unterschied oder es braucht sie nicht«.

Ähnlich hatte sich bereits die Strömung Emanzipatorische Linke geäußert. »Mit solchen Aussagen befördert sie die rassistische Stigmatisierung von Flüchtlingen und Muslimen und stellen alle Geflüchteten und Muslime unter Generalverdacht«, hieß es da zu Wagenknechts Erklärung. »Eine linke Politik steht dafür, Asylsuchenden ein Leben in Freiheit und Selbstbestimmung, ohne Kontrolle, Misstrauen und Isolation, ohne rassistische Stigmatisierung zu ermöglichen.« Und weiter: »Wagenknecht könnte Kasernierung, Arbeitsverbot, fehlende therapeutische Betreuung und soziale Ausgrenzung« von Geflüchteten kritisieren, »ohne ins Horn der CSU zu stoßen«.

Derweil hat Sachsens Linkenchef Rico Gebhardt nach den Anschlägen in Bayern und Baden-Württemberg eine Analyse der Ursachen angemahnt. Die Taten von Würzburg, München, Reutlingen und Ansbach würfen Fragen auf. Er wünsche sich auch eine Debatte darüber, wie Integration gelingen kann: »Wieso gehören Menschen aus Migrationsmilieus oft auch nach einer oder mehreren Generationen immer noch nicht zum «Wir» der Gesellschaft in Deutschland?«. Damit müssten sich die Deutschen, aber auch die Interessenvertretungen der Migranten befassen.

Linkenpolitiker: Ängste müssen wir dennoch ernst nehmen

Die Linkenpolitiker Benjamin-Immanuel Hoff und Alexander Fischer mahnten in einem gemeinsamen Beitrag an, über real existierende Stimmungslagen in der Bevölkerung nicht hinwegzusehen. Die Linke sei gefordert, »eine progressive politische Erzählung zu entwickeln, die Begriffe wie Sicherheit (als den legitimen Wunsch nach Sicherheit vor den großen Risiken des Lebens, seien sie nun Krieg, Gewalt, Armut oder Diskriminierung) und Heimat (als ebenso legitimen Wunsch nach einem Leben in verlässlichen familiären, sozialen, ökonomischen und institutionellen Arrangements) nicht meidet und tabuisiert, sondern kognitiv und affektiv auf eine Weise besetzt, die Zustimmung für eine progressive Politik wirbt«. Zudem müsse es darum gehen, »eine politische Agenda aufzusetzen, die dieser Wählerbasis ein Leben in Sicherheit ermöglicht«.

Ähnlich hatte sich zuvor auch schon der Bundesgeschäftsführer der Linkspartei, Matthias Höhn geäußert. Es sei wichtig, nicht aus den Augen zu verlieren, dass die schlimmen Ereignisse der vergangenen Tage - Höhn meint die Anschläge und den Amoklauf - vielen Menschen Angst machten. »Umso notwendiger ist es, dieser Angst entgegenzuwirken, anstatt sie zu befeuern, sich Mythen entgegenzustellen und politisch keine Kurzschlüsse zu produzieren«, so Höhn, der in seiner Erklärung Wagenknecht nicht direkt ansprach. »Der Respekt vor den Opfern gebietet es, sich mit lauten, populistischen Reaktionen zurückzuhalten.« Der Terrorismus sei »nicht mit den Flüchtlingen ins Land gekommen«, sagte der Linkenpolitiker mit Blick unter anderem auf den NSU-Prozess. »Sicherheit braucht eine gut ausgestattete Polizei«, sagte Höhn weiter. Dies könne aber nich »auf Kosten der Freiheit« erkauft werden.

Der stellvertretende Fraktionschef im Bundestag, Jan Korte, sagte mit Blick auf Wagenknechts Äußerung, »die Aufnahme Hunderttausender, die Zuflucht bei uns gesucht haben, war und bleibt richtig«. Er kritisierte aber zugleich die Merkel-Regierung - diese habe es »sträflichst unterlassen, diesen Menschen eine Perspektive aufzuzeigen. Die Bereitschaft von Flüchtlingen, sich zu integrieren, ist tausendmal höher als die Angebote durch diese Bundesregierung. Flüchtlingspolitik darf keine Verwahrungspolitik sein«, so Korte.

Ein Echo auf Wagenknechts umstrittene Erklärung kam auch aus dem Karl-Liebknecht-Haus - die beiden Parteivorsitzenden erklärten am Dienstag, »die schrecklichen Taten der letzten Tage dürfen aber nicht dazu führen, dass Flüchtlinge und Asylbewerber unter Generalverdacht gestellt werden«. Katja Kipping und Bernd Riexinger forderten »eine besonnene und ernsthafte gesellschaftliche Diskussion über die vielschichtigen Ursachen solcher Gewalttaten und Anschläge«. Es handele sich dabei nicht nur um »äußere Gefahren«, sondern auch um Krisensymptome einer gespaltenen Gesellschaft. Alle Menschen hätten »ein Recht auf ein Leben frei von Angst und Gewalt. Das gilt für alle Menschen, die hier geboren sind und auch für alle jene, die in unser Land geflüchtet sind«. vk/mit Agenturen

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