Anti-Asyl-Deal mit der EU: Türkei stellt Ultimatum

CSU weist Drohungen scharf zurück / Außenminister: Entweder Visafreiheit bis Herbst oder Rücknahmeabkommen wird gekündigt / Brüssel reagiert reserviert: Erst muss Ankara Bedingungen erfüllen

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Berlin. Steht der so genannte Flüchtlingspakts der EU mit der Türkei, der in Wahrheit eine Anti-Asyl-Vereinbarung ist, vor dem Aus? Die Regierung in der Türkei droht der Europäischen Union ultimativ mit der Aufkündigung, wenn nicht zügig Visumfreiheit gewährt wird. Außenminister Mevlüt Cavusoglu sagte der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«: »Wenn es nicht zu einer Visaliberalisierung kommt, werden wir gezwungen sein, vom Rücknahmeabkommen und der Vereinbarung vom 18. März Abstand zu nehmen.«

Die EU-Kommission reagierte reserviert und erklärte am Abend, man werde sich von den Drohungen aus Ankara nicht beeinflussen lassen. Die Visumfreiheit werde es nur geben, wenn alle Bedingungen erfüllt seien, sagte eine Sprecherin der Brüsseler Behörde. Die Bundesregierung zeigte sich ebenfalls unbeeindruckt von der Drohung. Der Sprecher des Auswärtigen Amts, Martin Schäfer, sagte am Montag, es bleibe dabei, dass die Voraussetzungen für eine Visa-Liberalisierung erfüllt sein müssen. Erst dann könne dies gewährt werden. Damit schloss er sich ausdrücklich der Auffassung der EU-Kommission an.

Die CSU wies die türkische Drohung mit einer Aufkündigung des Flüchtlingspakts scharf zurück. »Drohungen und Ultimaten - der neue Stil der Erdogan-Türkei. Wir sind bei der Erfüllung der 72 Kriterien für die Visafreiheit nicht auf dem türkischen Basar«, sagte CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer am Montag. »Visafreiheit für die Türkei ist in der aktuellen Lage völlig ausgeschlossen. Die EU muss jetzt klare Verhältnisse schaffen.«

Auch Österreichs Außenminister Sebastian Kurz stellte sich gegen die Forderungen der Türkei. Zugleich wandte sich der ÖVP-Politiker gegen die Erpressungsversuche durch die Regierung in Ankara mit Hilfe des Flüchtlingspakts, wie die österreichische Nachrichtenagentur APA am Montag berichtete. Kurz erklärte: »Es gibt klare Bedingungen für die Visafreiheit, die alle ausnahmslos zu erfüllen sind, insbesondere die Anti-Terrorgesetze.« Europa dürfe sich in der Flüchtlingsfrage nicht von der Türkei abhängig machen. Die EU müsse fähig sein, ihre Außengrenzen eigenständig zu schützen.

Das hierzulande hoch umstrittene Abkommen funktioniere, weil die Türkei »sehr ernsthafte Maßnahmen« ergriffen habe, unter anderem zur Bekämpfung der Menschenschmuggler, sagte Cavusoglu. Er fügte hinzu: »Aber all das ist abhängig von der Aufhebung der Visumpflicht für unsere Bürger.« Die türkische Regierung erwarte »einen konkreten Termin« für die Visaliberalisierung. »Es kann Anfang oder Mitte Oktober sein - aber wir erwarten ein festes Datum.«

Die Türkei nimmt auf Grundlage des Abkommens seit April Flüchtlinge von den griechischen Inseln zurück. Dadurch ist die Fluchtroute von Asylsuchenden durch die Ägäis in die Europäische Union praktisch geschlossen worden. Allerdings gibt es wegen der politischen Entwicklung in der Türkei nicht erst seit dem gescheiterten Putschversuch Streit um das Ende der Visumspflicht, das die EU Ankara im Gegenzug versprochen hatte. Zu den noch offenen Bedingungen für die Gewährung der Visumfreiheit zählt unter anderem eine Reform der türkischen Anti-Terror-Gesetze. Die EU will, dass sie so geändert werden, dass sie nicht gegen politische Gegner missbraucht werden können.

Das Vorgehen des autoritären Regimes in Ankara nach dem gescheiterten Aufstand von Militärs hat die Gräben noch weiter vertieft. Tausende Menschen wurden verhaftet, die Regierung geht unter Vorwänden gegen die unabhängige Justiz, die freie Presse und die Opposition vor.

Bereits Anfang der Woche hatte Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan in einem ARD-Interview der Europäischen Union vorgehalten, in der Flüchtlingspolitik ihr Wort gebrochen und Vereinbarungen nicht eingehalten zu haben. Die Türkei stehe zu ihren Versprechen. »Aber haben die Europäer ihr Versprechen gehalten?« Agenturen/nd

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