Die Faszination des Abfalls

Künstler lassen in ihren »Papiers collés« die Poesie des Weggeworfenen erblühen

  • Klaus Hammer
  • Lesedauer: 3 Min.

Papiers collés von 30 zeitgenössischen Künstlern aus drei Generationen, zusammengetragen aus Galerien und Privatbesitz, zeigt die Galerie Parterre. »Papier collé« (geklebtes Papier, Klebebild) ist eine frühe Form der Collage und wurde um 1912 von Georges Braque und Picasso entwickelt. Eingeklebte Elemente wie Zeitungsausschnitte, Fotos, Eintrittskarten, Briefe usw. wurden dem Bildorganismus als Struktur- und Assoziationsträger einverleibt.

Durch die Einfügung von Realitätsfragmenten, von Materialien, die ihre Funktion verloren haben, gibt sich das montierte Werk als künstlerisches Gebilde, als Artefakt zu erkennen. In den magischen Dingbildern Albert Wigands nehmen die Dinge stilllebenhaften Charakter an, der Künstler lässt sie in plötzlich aufglänzenden Farbschauern zergehen. In jedem Ding glaubt er ein Gleichnis des Lebens zu schauen. Bei Hermann Glöckner wiederum werden Anklänge an die Realität mit einer aus gebauten Formen zusammengesetzten geometrischen Zeichnung vermischt. Seine experimentelle Entdeckerfreude reicht von der Beschäftigung mit dem Wirklichkeitsabfall bis zum handwerklichen Kombinieren und Konstruieren.

Immer wieder greift Dieter Goltzsche in seine Sujets ein, in spielerischer Freiheit, in der Lust am poetischen Fabulieren, dabei bleibt die Bildsituation stets offen. Es lassen sich bei ihm ortlose Szenerien, Figuren, Köpfe, Gesichte und andere zeichenhafte Elemente in entzifferbaren Konstellationen ausmachen. Dagegen entsteht die reliefartige Oberfläche der Bilder Walter Libudas in einem steten Ringen mit der Farbmaterie, dem Farbbrei. Schicht wird neben Schicht gesetzt, neue Farbe darüber gelegt, bearbeitet, gleichsam durchgeknetet.

Volker Henze wiederum gibt einen subtil modulierten, luftigen Raum - die Bildfläche verwandelt sich hier in ein Kontinuum von kleinen Episoden. Bewegungen und Begegnungen über Farbrhythmen und -felder finden auf den Blättern Oscer Pioppis statt. Die eingeklebten Bildelemente treten teilweise aus der Grundfläche heraus, wirken wie Mosaike oder nehmen textile Strukturen an. Aus Illustriertenausschnitten setzt Dorothea Hahn skurrile Figurengruppen zusammen. Es ist die Mutationsfähigkeit des Lebens, alles kann unter dem Druck einer drängenden, animalischen Vitalität eine andere Form annehmen.

Marc Gröszer malt das Halluzinationsszenarium des veristischen Surrealismus. Die verzerrte Vitalität der »Amazone« (2008) bedeckt wie eine dicke, vibrierende Membrane die riesige Bildfläche - ein amphibisches Wesen, zwischen Atavistischem und Trivialem angesiedelt.

Von Andreas Küchler, 2001 mit 48 Jahren verstorben, sind melancholische Erinnerungen zwischen Ankunft und Abschied zu betrachten. In Horst Hussels skurrilen Figurationen und Metamorphosen, seinen ironisch-hintergründigen Darstellungen wird das Logische oft bis zum Paradoxen gesteigert. Linie und Farbe ergänzen sich in der Phantasie des Betrachters zu gemeinsamer Wirkung.

»Visualisierte Gedankenwelten der vielschichtigen Gegenwart« hat Monika Meiser ihre Collagen genannt, die sie aus farbigem Papier, eigenen unfertigen Arbeiten und Alltagspapieren gerissen, geschnitten, mit seidenfeinen Schleiern überzogen oder schweren Schichten übermalt hat. Der scheinbaren Beschränkung von Motiv und Farbe antwortet in den geradezu reliefhaft angelegten Arbeiten Sati Zechs der große Reichtum der Materialität dieser Bilder, ihre intuitiv ausschweifende Konstruktion und Komposition. Manfred Zoller baut eine Bildwirklichkeit aus gegenstandslosen Elementen und schafft durch rationale Bildbezüge wie Perspektive, Horizont, Vorder-, Mittel- und Hintergrund die Möglichkeit einer scheinbaren Identifizierung mit einer gegenständlichen Welt, die sich dem rationalistischen Vergleich dann jedoch unversehens wieder zu entziehen scheint.

Geschnitten, geklebt, collagiert, komponiert entstehen aus der Hand von Sabine Peuckert Arbeiten von feinem Klang und origineller haptischer Verführungskraft. Martin Seidemann schichtet Farbmaterie, zieht eine Spur, setzt Form an Form, ein von Segment überspringendes Gewebe aus vermischenden wie kontrapunktischen, dunkel gebrochenen Farben.

»Papiers collés und zwei, drei Ausnahmen«. Bis 18. September in der Galerie Parterre Berlin, Danziger Str. 101, Prenzlauer Berg.

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