nd-aktuell.de / 08.08.2016 / Politik / Seite 1

Der Höhepunkt der Erdogan-Festspiele

Auch die Oppositionsparteien CHP und MHP nehmen an Großdemonstration teil, HDP wird geächtet

Roland Etzel

Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hat am Sonntag in Istanbul auf einer Großdemonstration erneut schwere Beschuldigungen gegen den in den USA im Exil lebenden türkischen Prediger Fethullah Gülen erhoben und ihn sowie seine Bewegung der Anzettelung des Militärputsches vom 15. Juli beschuldigt. Nach Angaben des katarischen Senders Al Dschasira sollen mehrere hunderttausend Menschen dem Aufruf von Erdogan zur Teilnahme an der »Demokratie- und Märtyrerversammlung« gefolgt sein.

In seiner Rede griff Erdogan die westeuropäischen Regierungen erneut scharf an und beschuldigte sie sogar der Kumpanei mit den Putschisten, ohne konkret zu werden. Erdogan beklagte, dass von ihm namentlich genannte Gülen-Vertreter, ob in Deutschland oder den USA, bisher nicht, wie von ihm verlangt, ausgeliefert worden seien. Das stellte er als hinreichende Erklärung für die von ihm behauptete Türkei-Feindlichkeit des Westens dar. Wörtlich sagte Erdogan laut »Al Dschasira«: »Der Westen hat uns nicht gezeigt, dass er gegen den Putsch ist ... Sein Schweigen ist unentschuldbar.«

Sein scharfes Vorgehen gegen Andersdenkende, tatsächliche oder auch nur vermeintliche Putschisten bzw. Anhänger Gülens rechtfertigte er mit der Behauptung, dies sei eine Aufgabe, die ihm »vom türkischen Volk verliehen« worden sei. Er habe diese Aufgabe selbstverständlich angenommen. Deswegen sei er aber »kein Despot oder Diktator«. Erdogan hatte wie an jedem Abend zuvor in Ankara und Istanbul seit dem Putsch, das türkische Volk aufgerufen zusammenzustehen.

Allerdings legte er auch dieses Mal selbst fest, wer zu den Putschgegnern und damit Demokraten gehören darf und wer nicht. Von den drei im Parlament vertretenen Oppositionsparteien waren zwei ausdrücklich eingeladen: die sozialdemokratisch orientierte Republikanische Volkspartei (CHP) sowie die großtürkische Ziele vertretende Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP). Türkische Medien kolportieren, dass der CHP-Vorsitzende Kemal Kilicdaroglu lange gezögert habe, während MHP-Chef Devlet Bahceli sofort zugesagt haben soll.

Ministerpräsident Binali Yildirim hatte die Anhänger der Regierungspartei angewiesen, diesmal keine Parteisymbole mitzubringen, sondern einfach als »Türken« teilzunehmen. »Der Geist einer Nation, einer Flagge, eines Heimatlands und eines Staats wird an diesem Tag vorherrschen«, wird Yildirim zitiert. Den Fernsehbildern nach zu urteilen, wurden die Regiewünsche des Staats- und des Ministerpräsidenten getreulich verfolgt.

Dazu gehörte auch, dass Anhänger der dritten Oppositionspartei, der kurdischen linken Gruppierung Demokratische Partei der Völker (HDP), ausdrücklich nicht zur Kundgebung eingeladen war, obwohl die HDP vom ersten Tage an den Putsch verurteilt hatte. Tagesthema Seite 2