Aktivisten bleiben beim Weltsozialforum ausgeschlossen

Globalisierungskritisches Netzwerk Attac beklagt kanadische Visapolitik / Treffen der Alternativen in Montreal startet am Dienstag - 50.000 erwartet

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Berlin. Das globalisierungskritische Netzwerk Attac erwartet vom in dieser Woche startenden Weltsozialforum im kanadischen Montreal »neue Impulse für den Kampf gegen die Armut und für mehr demokratische und soziale Rechte in der Welt«. Kritik wird an der restriktiven Visapolitik der kanadischen Regierung laut. Diese führe dazu, dass »zahlreiche Persönlichkeiten aus Afrika und Asien von der Teilnahme ausgeschlossen« sind, beklagt Braun. »Das bestätigt die Erfahrung, dass auch sogenannte liberale Politiker keine Garantie für Weltoffenheit und Freizügigkeit sind«, kritisiert der Mann von Attac - im vergangenen Herbst hatte Justin Trudeau die Regierung übernommen und eine konservative Administration abgelöst.

Für das inzwischen 12. oder 13. Weltsozialforum - die Organisatoren sind sich in dieser Frage nicht einig - wurde mit Kanada erstmals ein entwickeltes Industrieland als Austragungsort ausgesucht. Montreal sei »gut geeignet für den Beweis, dass Armut nicht länger auf den globalen Süden beschränkt ist«, erklärte Attac-Urgestein Hugo Braun. Die Herausforderung bestehe darin, Ideen »des Wandels über die Nord-Süd-Trennung hinweg zusammenzubringen, um sie zu befähigen, miteinander zu kommunizieren und ihre Bedürfnisse, Initiativen und Projekte darzustellen, um so positive Impulse für den Wandel voranzutreiben. Global denken und lokal handeln«, heißt es beim Weltsozialforum.

»Der antikapitalistische Biss ist noch da«
Francisco Marí von »Brot für die Welt« über das Weltsozialforum in Montreal, die bunte Realität der Foren und die Suche nach globalen Alternativen

Das diesjährige Weltsozialforum startet am 9. August mit einer großen Demonstration. Insgesamt werden rund 50.000 Aktivisten erwartet, die etwa 5.000 soziale Bewegungen und zivilgesellschaftliche Organisationen aus über 110 Ländern weltweit repräsentieren. »Sie alle eint der Einsatz für eine bessere Welt, für wirtschaftliche und soziale Rechte für alle Menschen sowie für solidarische und ökologische Alternativen zum derzeitigen Wirtschaftssystem«, heißt es bei Attac - eine der acht Gründungsorganisationen des Weltsozialforums, das 2001 erstmals in Porto Alegre stattfand.

Über das Programm des Weltsozialforums hinaus gibt es in diesem Jahr erstmals sieben große Konferenzen, die sich mit Themen wie soziale Ungleichheit, Flucht, Steueroasen, Klimagerechtigkeit und Bildung befassen.

Für die internationale Entwicklungsorganisation Oxfam wird es um ein Wirtschaftsthema gehen. »Die Bekämpfung von Steueroasen ist eines unserer Hauptanliegen«, sagt die Sprecherin von Oxfam in Kanada, Justine Lesage. Daneben soll vor allem die Jugend zu Wort kommen. Dazu richtet Oxfam auf dem Forum einen eigenen Jugendgipfel aus - der Zugang zu politischer Mitentscheidung, zu geeigneten Jobs und vernünftiger Bezahlung für junge Leute in aller Welt sei ein ebenso großes wie verkanntes Problem - durchaus auch in entwickelten Ländern. Oxfam will zum Thema Chancengleichheit für Jugendliche in Montreal eine eigene Studie vorlegen.

»Der Erfolg des Weltsozialforums ist bei allem Engagement umstritten«, schreibt die Deutsche Presse-Agentur. »Vor allem zur Zeit der Finanzkrise verkam ein Teil der Initiativen zu einer allzustark ideologisch gefärbten Kapitalismuskritik. Konkrete Maßnahmen zur Verbesserung konkreter Missstände rückten in den Hintergrund, ein Teil der Teilnehmer stritt über Sinn und Unsinn der gesamten Veranstaltung.«

Francisco Marí vom evangelischen Entwicklungsdienst »Brot für die Welt« sagte gegenüber »nd«, das Weltsozialforum »als den Ausgangsort revolutionärer Veränderungen zu träumen, wie viele Aktivisten und Aktivistinnen aus Südamerika und aus dem Süden Europas wieder hoffen, ist zwar angesichts der brasilianischen Situation verständlich, wird aber der bunten Realität der Foren nicht gerecht.« Der Eindruck, dass der antikapitalistische Biss verloren gegangen sei, trüge aber, so der Mann aus dem Internationalen Rat des Weltsozialforums. »Die unterschiedlichen globalen Krisenerscheinungen als Zivilisationskrise zu verstehen, bedeutet aber unseres Erachtens eine Stärkung von Bewegungen, die auf grundsätzliche Veränderungen drängen.«

»Brot für die Welt wird aus seiner weltweiten Arbeit die Themen Rohstoffsicherung, Klimawandel und die globalen Handelsbeziehungen in den Vordergrund stellen«, sagt die Sprecherin der Organisation, Anne Dreyer. »Kanadische Konzerne sind überall beteiligt, wenn es um den Abbau von Erzen geht. Aktivisten aus aller Welt werden in Montreal berichten, welche Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörungen dabei in Kauf genommen werden«, heißt es in einer Mitteilung von Brot für die Welt. Betroffen vom Abbau auf dem Meeresboden seien der Fischfang und die Meeresökologie, etwa vor Papua-Neuguinea.

Frei von Auseinandersetzungen sind die Weltsozialforen freilich nicht. Schon 2012 hatte es Differenzen gegeben, ohne das Geld der brasilianischen Regierung und einer gewissen damit verbundenen Abhängigkeit wäre die Austragung gar nicht erst möglich gewesen. »In Tunis 2013 und 2015 überlagerten regionale Streitigkeiten eine globale Denk- und Arbeitsweise. Dort wurde gar von einheimischen Gruppen die für viele Gründerväter der Sozialforumsidee scharfe Kritik laut«, so die dpa: »Das Weltsozialforum benutze die Methodik von Davos.« vk/mit Agenturen

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