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Turban und Turbokapitalismus

Im Kino: »1001 Nacht: Volume 2 - Der Verzweifelte« von Miguel Gomes

  • Caroline M. Buck
  • Lesedauer: 3 Min.

Gleich zu Beginn geht der Regisseur einen faustischen Pakt mit seiner Crew ein und bietet sich Scheherazade an: Weil er gesellschaftskritisch und sozial relevant arbeiten möchte, aber auch schöne Bilder, nackte Frauen und schlüpfrige Geschichten schätzt, kapituliert der Filmemacher vor der Aufgabe, derart widerstreitende Ansätze zu einem einzigen Film zu verdichten - und flüchtet. Sein Team, das ihm nachsetzt, buddelt ihn zur Strafe kinntief im Sand ein. Und Miguel Gomes, der Filmemacher, feilscht um sein Leben. Sein Angebot: Aus vielen kleinen Einzelerzählungen nun doch die große, alles umfassende Geschichte zusammenzusetzen, die alle zugleich in ihren Bann ziehen wird.

Wie der Deal am Ende ausgeht, erfährt man übrigens nicht. Aber bis zum Ende hat man die Rahmenhandlung auch schon fast vergessen. Denn »1001 Nacht: Volume 2 - Der Verzweifelte« ist bloß der zweite Teil einer Trilogie. Und zusammen haben die drei Teile eine Laufzeit von rund sechs Stunden. Band 1, »Der Ruhelose«, kam bereits vor einer Woche in die Kinos, Band 3, »Der Entzückte«, wird in der kommenden Woche folgen. In dieser Woche ist die Mitte dran, Band 2: »Der Verzweifelte«. Es ist zugleich der Abschnitt, in dem Gomes seiner Vorliebe für entblößte Frauenkörper ganz besonders nachgibt. Portugal in den Jahren 2013 und 2014, der Zeit der Entstehung des Films und der andauernden Wirtschaftskrise, ist aber durchgängig Thema. Und zugleich natürlich: Tausendundeine Nacht.

Die Sparpolitik der Regierung, die dem Land aufgezwungene Austeritätspolitik, die immer mehr Arme schafft und sie dann noch ärmer macht, ist die eine inhaltliche Klammer um das eklektische Sammelsurium an Geschichten, das Gomes da vor dem Zuschauer ausbreitet. Zu Neujahr gibt es ein Protestschwimmen für die Würde der Arbeitslosen, es gibt Massendemonstrationen gegen die (bereits erfolgte) Schließung einer Werft und im dritten Teil ausführlich Dokumentarisches zum Singvogelzüchten. Dann wiederum hat Scheherazade in Klimperkettchen und bodenlangen Roben eine erotische Begegnung der eher unerwarteten Art, ein Hahn muss sich vor Gericht verantworten und eine Pappkuh kommt dabei auch noch irgendwie ins Spiel. Weil aber die Troika, das Dreigestirn europäischer und außereuropäischer Kreditinstitutionen, mit ihren wirtschaftspolitischen Knebelverträgen konsequent das Feindbild abgibt, geht es diesem Dreigestirn in Fragen der Manneskraft denn auch satirisch an die Kronjuwelen.

Massendemonstrationen und schön blond gefärbte Jünglinge an Badestränden, weise raunende Frauen mit flitterbesetztem Schleier und Männer mit Bilderbuch-Turban, die vor modernen Riesenrädern eine Zigarette zücken - nichts, keine Szene, kein Bild, kein Foto, passt zum vorangegangenen oder unmittelbar nachfolgenden Teil. Und doch entsteht zusammengenommen ein Sog, dem man sich auch in der Zerstückelung in drei getrennt zu sichtende Kapitel nicht völlig verschließen kann. Die konträren formalen und ästhetischen Ansprüche, die hier ständig im Widerstreit miteinander liegen, befruchten sich tatsächlich gegenseitig, auch wo sie sich zunächst eher abzustoßen scheinen

Kunstkino ist das in jeder Minute und schon in der permanent desorientierenden Mischform nie ganz leicht zu konsumierende Kost. Richtig tiefschürfend wird es unterm Strich aber auch nicht, und man könnte seine Zeit vielleicht auch irgendwie besser nutzen. Aber was Gomes von der brutalen gesellschaftlichen Realität im Portugal der Gegenwart erzählt, gewinnt tatsächlich Bedeutung durch den doppelten Boden, den er der realen Ebene seines Films einzieht, indem er Märchengestalten und surreale Handlungselemente naht- und übergangslos einfließen lässt. Dieses Verschwimmen der Realitätsebenen, von Fiktion und Fakt, Filmdreh und Filmhandlung, hatte sich schließlich schon bei seinem viel prämierten Erstling »Our Beloved Month of August« (2008) eindrucksvoll - und nachhaltig einprägsam - bewährt.

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