Die Sternensprache der Geschichten und Träume

Muriel Barbery: »Das Leben der Elfen« - ein kleiner, poetischer Roman in einem ganz eigenen Stil

  • Lilian-Astrid Geese
  • Lesedauer: 3 Min.

Es herrscht Unruhe im Leben der Elfen. Der Kleine Elfenrat tagt im Nebelpavillon. »Erstaunlich«, sagte das Ratsoberhaupt, »wie Visionen und Kräfte sich in der Welt der Menschen verbinden.«

»Maria ist der Katalysator«, erwiderte der Wächter des Pavillons. »Clara ist die Mittlerin.« »Es gibt eine Veränderung im Kraftfeld der Brücke.« »Es gibt eine Veränderung im Kraftfeld der Nebel.«

»Aber es hat ein Austausch stattgefunden«, wandte der Bär ein, »und Aelius sieht, was wir sehen.« »Das wird den ganzen Aktionsplan umstoßen«, sagte das Eichhörnchen. »Es ist Zeit, auf die andere Seite zu gehen.« »Die Brücke ist offen«, erklärte der Wächter des Pavillons, »ihr könnt sie überqueren.«

Ist »Das Leben der Elfen« also nicht anders als das der Menschen? Sind sie gar die Alter Egos der Frauen und Männer, die Barberys mystische Welt bevölkern? Im Niederland in Burgund wächst das Mädchen - die Elfe - Maria auf. Und im düsteren Rom lebt die Halbelfe Clara, beschützt vom trunksüchtigen Elf Pietro und dem Maestro, der sie das Klavierspielen lehrt. Es gibt Verbindungen zwischen den Mädchen, auch wenn sie sich weder kennen noch die gleiche Sprache sprechen. Doch Menschensprachen, so die französische Schriftstellerin Muriel Barbery, sind zur Verständigung irrelevant.

»Auf der Lichtung nahm die Geschichte, die Clara Maria geschenkt hatte, in einem Satz Gestalt an, den sie in den Schneehimmel flüsterte und der sich wie ein Baum mit drei Ästen verzweigte, in denen sich die drei Kräfte ihres Lebens konzentrierten; es gab kein Italienisch und kein Französisch mehr, nur noch die Sternensprache der Geschichten und Träume.«

Die Autorin ist konsequent. In ihrer hier und da ein wenig exzessiv lyrischen Prosa erzählt sie. Nicht mehr, nicht weniger. Sie erzählt ohne wirklichen Plot, ohne Narrativ. Sie wählt die Worte. Die Geschichte spielt sich im Kopf ihrer Leserinnen und Leser ab. Wir erfahren nicht, warum Aelius seine Mitelfen angreift, und wer den nächsten Krieg gewinnt. Wir wissen nicht, warum die Einen leben, die Anderen sterben. Niemand erklärt uns, warum ein so dünnes Büchlein (297 Seiten) ein Personenregister braucht, wo doch mehrere der in ihm aufgeführten Personen nur ein- oder zweimal auftauchen. Und es überdies für die Handlung, die es ja eigentlich nicht gibt, unerheblich ist, ob man sich an eine Figur erinnert oder nicht. Nicht die Personen tragen Barberys Geschichte. Allein die Worte, auf denen man sich forttragen lassen kann in eine andere Welt.

Wer nach der neunjährigen Schreibpause der Französin ein ähnlich spritziges, witziges Buch erwartete wie ihren Bestseller »Die Eleganz des Igels«, die Überraschung des französischen Bücherherbsts 2006, wird enttäuscht sein. »Das Leben der Elfen« ist ein kleiner Roman mit einem sehr eigenen Stil. Man muss sich auf ihn einlassen. Wie auch auf Barberys subtil politische Botschaft: »Die größten Übel sind stets von Spaltungen und Mauern gekommen ... Doch wir hoffen auf neue Bündnisse und führen die Illusion der alten Dichter weiter. Wir werden mit ihren Fiktionen ... kämpfen, und nirgends steht geschrieben, dass Tee und Träume nicht über Kanonen siegen werden.«

Muriel Barbery: Das Leben der Elfen. Roman. Aus dem Französischen von Gabriela Zehnder. dtv. 297 S., geb., 22,90 €.

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