nd-aktuell.de / 18.08.2016 / Kultur / Seite 16

Selbstironie und Pointen

Elke Heidenreich

Alice Werner

Was macht eine Schriftstellerin mit all den kleinen Geschichten, die sie über Jahre hinweg gehört, beobachtet, erlebt, auf Zettel notiert oder im Gedächtnis abgespeichert hat? Elke Heidenreich, geboren 1943, bekannt als Literaturkritikerin, Kolumnistin, Talkmeisterin und Autorin, hat aus ihrem Anekdoten-Fundus die schönsten und wundersamsten zu einem neuen Band zusammengestellt: Liebeserklärungen, Glücks- und Unglücksfälle, Lehrstücke, Alltagsszenen, erinnerte Begebenheiten ...

Da erzählt sie zum Beispiel von einem befreundeten Frauenheld, der auch im Alter noch den Don Juan gibt - indem er auf Reisen immer ein paar Damenschuhe vor die Hoteltür stellt. Da beichtet sie, wie sie sich als Rotkreuzschwester verkleidet in die Wiener Staatsoper schmuggelte, um Rudolf Nurejew tanzen zu sehen. Da schildert sie das Schicksal eines Dirigentensohnes, der vom Vater bei Konzertbesuchen zum Tragen von Lackschuhen gezwungen wird, obwohl er Veganer ist und seine Füße unter dem Leder leiden. Da gesteht sie unverhüllt, wie sie an unliebsamen Arbeitskollegen Rache übte, sich immer wieder in hübsche Brüderpaare verliebte und von vermeintlichen Freunden hintergangen wurde.

Dass man diese wie zufällig zusammengescharrten, nach dem Anfangsbuchstaben der Titel geordneten Erzählschnipsel einen nach dem anderen begierig verschlingt, liegt an der leichten Hand, mit der die Autorin die Klaviatur ihrer Kurzprosa bespielt - und die längst zu ihrem Markensiegel geworden ist. So frönt sie hier der pointierten Zuspitzung und dem selbstironischen Spott, freut sich an fein verschlungenen Gefühlserkundungen und Gedankengängen. Auch wenn sie sehr persönlich von sich erzählt, schlägt sie in vielen Geschichten die Brücke zum allgemein Menschlichen. Immer wieder zeigt sie exemplarische Konstellationen (der Mutter-Tochter-Konflikt, der Umgang mit Ex-Liebhabern) und Situationen (die gesellschaftskonforme Lüge, das intellektuelle Gespräch im Theaterfoyer), in denen jeder sich wiedererkennt. So lesen sich ihre lebensgesättigten Kurz- und Kürzestgeschichten wie Resümees menschlicher Existenz.

Elke Heidenreich: Alles kein Zufall. Kurze Geschichten[1]. C. Hanser. 240 S., geb., 19,90 €.

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