nd-aktuell.de / 19.08.2016 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 1

Volkswagen gehen die Sitze aus

Ein verbissener Streit mit Zulieferbetrieben zwingt den Autokonzern zu Kurzarbeit

Jörg Meyer

In Emden sind seit Donnerstag rund 7200 Beschäftigte für fünf Werktage in Kurzarbeit. Im Stammwerk des Automobilkonzerns in Wolfsburg werden Getriebe knapp, in Zwickau und Braunschweig wird Kurzarbeit geprüft. Warum?

Der Reihe nach: Wenn ES Automobilguss, ein Automobilzulieferer im sächsischen Schönheide, keine Getriebegehäuse mehr nach Kassel liefert, können dort keine Getriebe mehr gebaut werden. Und wenn Kassel keine Getriebe mehr liefert, dann stehen auch in Zwickau, wo die Modelle Golf, Golf Variant und Passat endgefertigt werden, irgendwann die Bänder. Und dieses Irgendwann rückt in gefährliche Nähe. Für die etwas über 8000 Beschäftigten würde das Kurzarbeit und damit Lohnverlust bedeuten.

Das wiederum ist bei VW in Emden geschehen. Der Grund: Die Sitzbezüge sind alle. Diese produziert die Car Trim Gruppe in Deutschland und Tschechien und liefert an VW. Car Trim und VW liegen in einem bitteren Streit, über dessen genaue Ursache sich die Beteiligten bedeckt halten.

Per einstweiliger Verfügung erwirkte VW, dass beide Firmen liefern müssen. Doch sowohl Car Trim als auch ES hatten widersprochen. Die nächste Verhandlung um ES findet am 31. August statt. Für Volkswagen wird es bis dahin richtig eng. Was Car Trim und ES-Guss - und viele andere Automobilzulieferer - verbindet? Sie gehören zur Prevent Group. einem international agierenden Konzern aus Slowenien, der 1952 als Hersteller von Schutzkleidung begonnen hatte, dessen Produktpalette beziehungsweise die seiner Tochterfirmen heute von Autoteilen über Finanzdienstleistungen bis hin zu Yachten reicht.

In den letzten Jahren hatte Prevent mit Car Trim oder dem Sitzhersteller TWB Presswerk GmbH zwei insolvente Zulieferer übernommen. Bei der Übernahme des Familienunternehmens ES Automobilguss folgte ein harter Kampf mit der IG Metall, bei dem mehrere Betriebsräte auf der Strecke blieben.

In Brasilien hatte Prevent im Jahr 2015 das südamerikanische Geschäft des Sitzherstellers Keiper gekauft und damit eine marktbeherrschende Stellung erlangt. Im Streit um aus VW-Sicht nicht begründete Preiserhöhungen hatte VW die Zulieferverträge gekündigt, hieß es in Berichten. Was folgte, waren wochenlange Lieferunterbrechung und damit der Produktionsstopp sowie vorgezogener Werksurlaub bei VW.

VW-Betriebsrat Guido Mehlhop übte am Donnerstag scharfe Kritik. Es sei nach der einstweiligen Verfügung gegen ES und Car Trim »völlig unverständlich, dass sich ein Unternehmen dem einfach widersetzt«. »Offenbar wird so versucht, auf dem Rücken der Belegschaft einen Wirtschaftskrimi zu inszenieren.« Anfragen von »nd« beantworteten VW und Prevent am Donnerstag vor Redaktionsschluss nicht.