Psychosen und Pyjamatanz

Im Kino: »Looping« von Leonie Krippendorff

  • Caroline M. Buck
  • Lesedauer: 4 Min.

Diesen Film gibt es, weil seine Debütregisseurin nach einer durchzechten Nacht eine Vision in einem winterkalten Park hatte: eine junge Frau, die auf dem Boden saß, das Gesicht ins gleißende Sonnenlicht gedreht. Ganz bei sich, ganz allein, irgendwie märchenhaft. Wie spät die Regisseurin ihre durchzechte Nacht beendet haben muss, wenn in der Winterkälte die Sonne bereits gleißte, ist die erste Frage, die einem zu diesem Bild einfällt. Und die zweite, ob die junge Frau nicht eher Hilfe gebraucht hätte als einen Film, der mit ihr irgendwie vage zu tun haben mag. Hoffen wir, dass sie sich wieder aufrappelte, auch ohne Zutun der bezechten Regisseurin. Die nämlich ging weiter, auch wenn sie sich, wie sie sagt: »am liebsten einfach neben sie gelegt« hätte.

Im fertigen Film nach eigenem Buch hat Leonie Krippendorff, frischgebackene Absolventin der auch noch recht frischgebackenen Filmuniversität Babelsberg, ihr Mädchen Leila genannt. Und Frenja. Und Ann. Oder vielleicht eher nicht: Ann. Denn Ann ist die eine der drei Frauen - eine blutjung, eine jung, eine nicht mehr ganz so jung - mit der es kein gutes Ende nehmen wird. Derweil hat Leila - die Rummelplatzgöre mit lesbischen Anwandlungen - wenig Gespür für die eigene Gefährdung, wenn sie nachts betrunken mit Lastwagenfahrern anbandelt, deren »Kabine« sie unbedingt mal erleben möchte. Und Frenja, die hübsche graue Maus, müsste einfach mal raus aus ihrem bedrückenden Milieu. Im Vergleich dazu hat Ann wohl wirklich ein Trauma zu überwinden, das einem den Lebenswillen abschneiden kann.

Jeder der drei Frauen ist ein Kapitel gewidmet in diesem »Looping«, dem Endresultat der Beinahe-Begegnung jenes zugedröhnten Morgens im Park. (Die Regisseurin selbst spricht von ihrem »berauschten Kopf«.) Leila, im Alter der Vision jenes Morgens wahrscheinlich am nächsten, kriegt den Großteil des Films ab, Frenja, die in ihrem irgendwie aus der Zeit gefallenen Arbeiterhaushalt niemand so recht wahrnimmt, kriegt ein Tortenstück. Und Ann nichts als ein paar Szenen, die dafür aber die einzigen sind, die man am Morgen danach nicht schon wieder vergessen hat. Sie wird von Marie-Lou Sellem gespielt. Und die hat Präsenz, auch wenn sie wieder eine dieser Marie-Lou-Sellem-Rollen spielt: kapriziös, anstrengend und ein bisschen vulgär. Für ihren Filmcharakter wird der Hintergrund kurz und knapp hinterhergeschoben, und der Figur ist alles verziehen.

Die drei Frauen, jede für sich mit ihrem Leben überkreuz, treffen in einer psychiatrischen Anstalt irgendwo an der Westküste aufeinander, in dem es Therapeuten gibt, aber strikt nur tagsüber. Die Überwachungskameras sind offenbar bloße Attrappen, die Frauen, ob akut gefährdet oder nicht, büxen nachts problemlos aus, um tanzen zu gehen oder schwimmen, um zu kiffen oder sich dreisam Zuneigung zu beweisen, indem sie Sex miteinander haben. Leila (Jella Haase aus »Lollipop Monster«), mit Stimmchen, unglücklichem Teenie-Blick und schmollenden Lippen, wird in der Lasterkabine unter die Räder kommen und sich in Bilder mit tätowierter Mama aus Kindheitstagen flüchten. Frenja (Lana Cooper) wird sich aus den Ess-Störungen ihrer unbefriedigenden Gegenwart in eine glücklichere Kindheit zurückträumen. Ann hat die glückliche Kindheit erst gar nicht gehabt, also sind die Kindheitsbilder hier kurz und ominös.

Das Ende zeichnet sich meilenweit im voraus ab und funktioniert denn auch wie ein Abzählreim: Eine geht nach Hause, eine geht unter, und die dritte tanzt einen Pyjamatanz, der so unwirklich ist, dass man sich wieder an das arme Ding im Park erinnert fühlt, von dem man ja auch nicht weiß, ob es vom Boden je wieder aufgestanden ist an jenem wintersonngleißenden Morgen. Die fahrige Kamera, die fahrige Figuren umkreiste, hat am Ende jedenfalls endlich Ruhe, ein Popsong, der schon beim ersten Mal eher abgedroschen wirkte, noch einen kurzen zweiten Einsatz, und die weniger vom Leben als von anderen Filmen inspirierten Dialoge haben endlich ein Ende. Und man geht mit, was auch sonst, leicht zugedröhntem Kopf einem hoffentlich besseren Alltag entgegen.

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