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Schlagstarke Sternsucherin

Astrostudentin Gráinne Temple lässt die Teile fliegen. Von René Gralla

  • René Gralla
  • Lesedauer: 5 Min.

Mit fernen Objekten, die in den Tiefen des Raums ihre Bahnen ziehen, kennt sie sich aus. Gráinne Temple absolviert momentan an Münchens Universität ein Graduiertenstudium in Astrophysik. Ihre Abschlussarbeit wird sie über Galaxien sphärischer Ausmaße schreiben, die sich als Teile zu einem Megahaufen zusammenballen.

Irgendwie passt es da, dass die Freizeit der 23-jährigen Irin ebenfalls von fliegenden Teilen dominiert wird. Die allerdings sind nur ein Mikroausschnitt des Universums, und sie werden von der künftigen Sternenjägerin selbst auf Kurs gebracht. Bei Matchbällen immerhin mit bis zu 150 Stundenkilometern. Denn Gráinne Temple spielt Camogie. Das ist die Frauenversion des ursprünglich den Männern vorbehaltenen irischen Nationalsports Hurling, einer Art Hockeyvariante; der Schläger »Sliotar« erinnert indes an Baseball, die Torform an Rugby. In München punktet Gráinne Temple für die Munich Colmcilles, sie ist zudem Frontfrau der Bayerischen Camogie-Auswahl.

Mit ihrem Münchner Team - der Vereinsname erinnert übrigens an den Mönch Colm Cille, der in Irland im 6. Jahrhundert missionierte - hat sich die dynamische Nachwuchswissenschaftlerin in der oberen Hälfte der Central European League etabliert. Vier Stunden in der Woche trainiert sie. Ein ziemlicher Aufwand bei parallel laufendem Graduiertenstudium. Und es ist dennoch relativ begrenzt im Vergleich zum Übungspensum der Topfrauen in Irland: Die arbeiten täglich an ihrem Camogie und gehen obendrein einem normalen Broterwerb nach, weil das Spiel bis heute ein reiner Amateursport geblieben ist.

Ein geradezu rührender Anachronismus. Der erst recht verwundert, berücksichtigt man die Zuschauerzahlen bei nationalen Meisterschaften: Zum Finale der All-Ireland Championship im Camogie strömen jeden September mehr als 30 000 Fans ins Croke-Park-Stadion von Dublin.

Darauf, dass dieser Nationalsport einst dazu beigetragen habe, die irischen Freiheitskämpfer zusammenzuschweißen, verweist die junge Frau gleich zu Beginn unseres Gesprächs. Widerstandsgeist sei dadurch maßgeblich beflügelt worden. Ehrensache deshalb, dass Iren meist ganz patriotisch Hurling respektive Camogie dem englisch konnotierten Hockey vorziehen - und nebenbei gesagt auch Gaelic Footbal, ein Kick- und Rugby-Mix, dem üblichen Fußball.

Ein eventueller Wechsel zu Hockey wäre für die sportliche Milchstraßenexpertin allein schon deshalb keine Option. Aber auch rein sportlich nicht. Zumal sie die Alternative tatsächlich mal ausprobierte, sich aber rasch am starren Regelwerk störte: »Im Hockey treibst du den Ball über den Boden«, das sei das Prinzip, resümiert Gráinne Temple. Im Unterschied dazu erweitere Camogie das Spiel um »eine zusätzliche Dimension«, indem der Ball häufig durch die Luft bewegt und gegebenenfalls per Schläger aufgefangen werde. Das verlange ausgereifte technische Fähigkeiten, die den irischen Sport einfach spannender als Standardhockey machten, findet die junge Frau.

Außerdem gestatten Camogie und Hurling unisono, dass Bälle per raschem Zugriff aus der Luft gefischt und mit der flachen Hand weitergeschlagen werden. Ein im Hockey unvorstellbarer Trick inklusive: Mit nonchalantem Handspiel können sogar Punkte geholt werden. Das alles erhöhe »den Spaßfaktor im Camogie enorm«, schwärmt Gráinne Temple. »Und treffe ich einen Ball perfekt und das Teil knallt wie eine Rakete ins Tor, ist das Gefühl einfach brillant.«

Trotz anspruchsvoller Forschungsarbeit, die Gráinne Temple aktuell zwischen dem Wendelstein-Observatorium und dem Max-Planck-Institut für Astrophysik in Garching pendeln lässt, wäre ein Verzicht auf Camogie für die junge Irin ein Verzicht auf einen bestimmten Lebensstil. Der sei familiär geprägt und beinhalte viel Nationalgefühl.

Sie stamme aus einer kleinen Gemeinde im County Kildare, berichtet Gráinne Temple, und gerade auf dem Land seien die Menschen stolz auf das Erbe der Ahnen. Dessen Wurzeln im Fall von Camogie / Hurling bis in das Dämmerlicht der Sage zurückreichen. Angeblich soll ein einschlägiges Match bereits 1272 vor unserer Zeitrechnung ausgetragen worden sein. Und zwar just am Vorabend der Schlacht von Moytura, in der die mythischen Firbolg auf das geheimnisumwitterte Volk der Túatha Dé Danann trafen.

Kein Wunder, dass bis in die Gegenwart das Bekenntnis zu Hurling beziehungsweise Camogie ein unmissverständliches kulturelles Statement ist. Es bekräftige die eigene »Irishness« in klarer Abgrenzung zu aufgezwungenen Importen Marke England, sagt Frau Temple. Folgerichtig sei es bare »Selbstverständlichkeit«, dass Kinder aus geschichtsbewussten Familien wenigstens eine der original irischen Disziplinen lernten. Im Fall der Temples hatten sich die älteren Brüder für Hurling entschieden. Logischerweise eiferte die kleine Gráinne dem Vorbild ihrer Geschwister nach. »Und ich wollte unbedingt besser sein als die Großen«, erinnert sie sich.

Mit dem strikten Amateurstatus wollen sich inzwischen übrigens manche nicht mehr abfinden, fordern auch Profisport. Gráinne Temple kann das verstehen, lobt aber den Status quo: »Das Spiel bleibt Hobby, das ich uneingeschränkt genießen kann.« Schließlich erwarte im Camogie niemand von ihr, »dass du dein Leben total auf den Sport ausrichtest«. Und da hat eine Gráinne Temple am Ende natürlich ganz andere Pläne: den Griff nach den Sternen - aber den echten wohlgemerkt.

Camogie- und Hurling-Turnier an diesem Wochenende: The Chris Hennessey Memorial Cup am 27. August in Hamburg, Sportplatz Rothenbaum, Turmweg 2, Beginn 9 Uhr;

Camogie, Hurling und Gaelic Football bei den Munich Colmcilles: weitere Infos unter www.munichgaa.de

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