USA distanzieren sich von türkischer Rojava-Offensive

Anti-IS-Beauftragter: Vereinigte Staaten waren in Planungen nicht einbezogen / Video zeigt, wie Rebellen kurdische Gefangene schlagen

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 4 Min.

Das US-amerikanische Verteidigungsministerium hat sich von der türkischen Militäroffensive in Nordsyrien am Montag distanziert. Laut dem Spezialbeauftragten von Washington für den Kampf gegen den Islamischen Staat, Brett McGurk, lehnt das Pentagon die jüngsten Zusammenstöße zwischen der Türkei, der mit ihr verbündeten Rebelleneinheiten und den kurdisch-arabischen »Syrischen Demokratischen Kräften« (SDF) ab. »Wir wollen klar machen, dass wir diese Auseinandersetzungen an Stellen, in denen der IS nicht aktiv ist, als inakzeptabel und als einen Grund zur tiefen Beunruhigung bewerten.«

Laut McGurk hat die Türkei die Grenzen ihrer Abmachung mit den Vereinigten Staaten überschritten: »Die USA waren nicht einbezogen in diese Aktivitäten, sie waren nicht mit US-Kräften koordiniert und wir haben sie nicht unterstützt.« Nun wolle man versuchen, in dem Konflikt zu vermitteln: »Wir rufen alle Akteure auf, die Kampfhandlungen einzustellen, den Konflikt zu entschärfen und Kanäle der Kommunikation zu öffnen.« Das Ziel der USA sei der gemeinsame Kampf gegen den Islamischen Staat.

Während die Rolle der USA für die kurdisch-arabischen Kräfte der SDF de facto unklar bleibt, weitet sich der Konflikt mit der Türkei und den von ihr unterstützten Gruppen aus. In sozialen Netzwerken kursieren seit Sonntag zahlreiche Videos, die FSA-Kämpfer nahe Dscharabulus mit Gefangenen zeigen. Die kurdische Nachrichtenagentur »rudaw« geht davon aus, dass es sich bei den gefesselten Personen um kurdische Milizionäre der YPG handelt. In einigen der Aufnahmen werden die Gefangenen vor laufender Kamera geschlagen und zum Teil nackt ausgezogen. Laut »rudaw« beschimpfen de Rebellentruppen die vermeintlichen YPG-Kämpfer in einem Video als »Separatisten«. Die FSA-Verbände erklären darin, man habe auf »Wunsch der Bewohner in den Dörfern südlich von Dscharabulus die Orte von den Separatisten befreit«. Weiter wird gesagt: »Unser erstes und letztes Ziel ist die Einheit von Syrien. Wir werden das Land von Separatisten, dem Assad-Regime und dem Islamischen Staat reinigen.«

Rund um die Stadt Manbidsch brechen derweil die Verteidigungslinien der SDF langsam zusammen. Laut der in London ansässigen Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte sollen die türkisch gestützten Verbände bereits den Sajur-Fluss zwischen Dscharabulus und Manbidsch überquert haben. Die Dörfer Jub al-Kousa und Al-Amarna seien eingenommen worden. Südlich von Manbidsch habe wiederum der Islamische Staat in einer neuen Offensive drei Dörfer von den kurdisch-arabischen Kräften erobern können. Diese Meldung konnte bisher nicht bestätigt werden.

Nach der Ankündigung eines FSA-Kommandeurs, die Stadt Manbidsch von der SDF erobern zu wollen, bereitet man sich dort derweil auf einen Angriff der Türkei-freundichen Truppen vor. Derzeit werde der strategisch wichtige Ort von örtlichen arabischen Einheiten aufgerüstet, erklärte ein Kurdensprecher am Montag. Die YPG sei aber nicht daran beteiligt.

Der Sprecher der kurdischen Volksverteidigungseinheiten Redur Xelil erklärte laut der Nachrichtenagentur »Ara News«, dass im Falle eines Angriffs die Türkei in Manbidsch so enden werde, wie das Assad-Regime in Hasaka. Nach Luftangriffen der syrischen Regierung auf die kurdisch-arabisch gehaltene Stadt in Ostsyrien kam zu es heftigen Auseinandersetzungen, in deren Folge die Regime-Truppen weitestgehend abziehen mussten. Xelil machte zudem deutlich, was aus Sicht der YPG das wahre Ziel der türkischen Offensive sei: »Durch die Besetzung von Dscharabulus versucht die Türkei nicht, den Islamischen Staat zu bekämpfen, sondern der Terrorgruppe zu helfen und unsere Einheiten an einer Weiterführung ihrer Missionen zu hindern.«

Wie weit die Türkei und die mit ihr verbündeten Gruppen ihren Aktionsradius in Nordsyrien ausdehnen werden, ist unklar. Präsident Recep Tayyip Erdoğan kündigte in türkischen Medien am Wochenende an: »Unser Kampf wird andauern, bis die terroristische PYD ausgerottet ist.« Die PYD ist die mit den Milizen YPG/YPJ verbundene Partei der Kurden in Rojava. Der türkische Außenminister, Mevlüt Çavuşoğlu, warf der Kurdenmiliz zudem am Montag vor, ethnische Säuberungen in Nordsyrien zu betreiben und forderte einen sofortigen Rückzug aus dem Gebiet westlich des Euphrat. Die YPG erklärte, sie hätten sich bereits zurückgezogen. Den Vorwurf der ethnischen Säuberungen hatte sie bereits in der Vergangenheit strikt zurückgewiesen.

Auch die autonome Stadtverwaltung der berühmten Grenzstadt Kobane meldete sich am Montag zu Wort. Man warnte den türkischen Staat davor, den Kanton Kobane – oder auch nur einen einzigen Fleck von Rojava – zu besetzen. Die USA wurde in der Erklärung laut der kurdischen Nachrichtenagentur »hawar news« erstmals mit kritischer Distanz angesprochen. »Für die Folgen jeder Eskalation werden der türkische Staat, die USA, Russland, der Iran oder das Baath-Regime die Verantwortung tragen.« Im Falle eines türkischen Angriffs rufe man die Stadtbevölkerung zum Aufstand auf. »Wir rufen unsere Bewohner im Falle einer Besatzung zur Revolte auf und werden den Geist des Widerstands von Kobane erneuern.«

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